Schäfers, Matthias
Die Symphonische Dichtung im Umkreis Liszts
Studien zu Hans von Bülow, Felix Draeseke und Alexander Ritter
So ist zugleich der Tonkunst ein neues Terrain gewonnen und die Pforten sind eröffnet für eine künftige weitausgreifende Entwicklung, schrieb der Musikwissenschaftler Franz Brendel im Jahr 1859 über die Symphonischen Dichtungen von Franz Liszt. Doch erst drei Jahrzehnte später gelang es Richard Strauss, erneut Werke dieser Gattung zu komponieren, die noch heute im Konzertsaal aufgeführt werden.
Matthias Schäfers versucht mit seiner Arbeit, die 1999 als Dissertation an der Universität Paderborn angenommen wurde und nun als 13. Band in der Reihe Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert erschienen ist, die vermeintliche Lücke musikhistorisch zu schließen und den Weg von Liszt zu Strauss aufzuzeigen. In seiner Studie geht er zudem der Frage nach, inwieweit bereits durch Franz Liszt Gattungsnormen etabliert wurden, die für nachfolgende Komponisten ein Orientierungsmuster bildeten, und er betrachtet gleichzeitig auch die Rolle der Gattung zwischen den beiden sogenannten Zeitaltern der Symphonie.
Matthias Schäfers analysiert hierzu Werke und Musikanschauungen von Hans von Bülow, Felix Draeseke und Alexander Ritter und zeigt anhand ihrer erhaltenen verbalen Äußerungen und Kompositionen auf, inwieweit ihre Gattungsvorstellungen andere Komponisten beeinflussten bzw. sich deren eigenes Gattungsverständnis im Laufe der Zeit veränderte. Schäfers Forschungsergebnisse zeigen u.a., dass bei Hans von Bülow nicht Liszt, sondern Wagner einen entscheidenden Anteil an der Ausbildung von dessen musikalischer Poetik hatte und er sich, genau wie Felix Draeseke, später sogar von Liszt abwandte. Mit Alexander Ritter findet der Autor das vermeintliche Bindeglied zwischen Liszt und Strauss, da dieser Strauss an die Werke Liszts heranführte.
Da die vorliegende Publikation eher wissenschaftlichen Charakter trägt und als Spezialliteratur angesehen werden muss, ist das Buch für den ungeübten Leser kein leichter Einstieg in die Thematik. Vor allem die zahlreichen Notenbeispiele und Tafeln zum formalen Grundriss der einzelnen Werke scheinen eine Hürde zu sein, wenn man nicht gerade über fundierte musiktheoretische Kenntnisse verfügt. Somit ist das Buch eher an Musikwissenschaftler bzw. Studierende der Musikwissenschaft gerichtet. Dennoch ist die Studie sicherlich auch für den musikwissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser sehr aufschlussreich, da man aufgezeigt bekommt, dass auch heute weitgehend unbekannte Komponisten wichtige Beiträge zur Musikgeschichte geleistet haben, ohne die es vielleicht bestimmte Gattungsbeiträge bedeutender Komponisten gar nicht gegeben hätte. Kritisch zu sehen ist, dass nach Ende 1998 erschienene Literatur nur in Ausnahmefällen berücksichtigt wurde, die Studie somit nicht mehr auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft ist. Dennoch hat sie nichts von
ihrer Aktualität eingebüßt.
Mano Eßwein