Eva Baronsky

Die Stimme meiner Mutter

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ecco
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 66

Zahlreiche Mythen kreisen um das Leben der Sopranistin Maria Callas: Sie sei zickig und überheblich gewesen, habe einen Bandwurm geschluckt, um ihre Pfunde loszuwerden, und auf Befehl ihres Liebhabers Aristoteles Onassis eine Abtreibung vorgenommen. Um die Jahrtausendwende kam eine neue Legende auf: Der Journalist Nicholas Gage behauptete, Maria Callas habe 1960 Onassis’ Sohn auf die Welt gebracht, der allerdings schon nach wenigen Stunden gestorben sei. Ob diese Geschichte stimmt, ist unklar, aber sie diente der Autorin Eva Baronsky als Inspiration für einen Callas-Roman mit einem ungewöhnlichen Erzähler, nämlich eben jenem Sohn Omero, der noch vor seiner Zeugung die Wirren um seine Entstehung kommentiert.
Es sind turbulente Wochen für Maria Callas: Onassis hat sie und ihren Mann Giovanni Battista Meneghini auf seine Luxusjacht „Christina“ eingeladen. Auf der Kreuzfahrt durch die Ägäis, an der auch Winston Churchill mit seiner Familie teilnimmt, entladen sich die Emotionen. Maria Callas und der Gastgeber flirten unverhohlen miteinander, während Meneghini, der „Statist von einem Ehemann“, hilflos zusieht, der Churchill-Clan der Diva mit kaum verhüllter Abneigung begegnet und Onassis’ Frau Tina Rachepläne schmiedet.
Omero erzählt von langen, auf Griechisch geführten Gesprächen seiner künftigen Eltern, von Landausflügen, auf denen Maria und Aristoteles sich absondern, von gehässigen Kommentaren der anderen Frauen, von Meneghinis weinerlicher Reaktion, als seine Frau ihn als Manager und Ehemann feuert. Nicht um „die Callas“ geht es, nicht um die Sängerin, der alle Welt zu Füßen liegt: „Ich aber, ich werde nicht über die Callas reden, ich will über meine Mutter reden, auch wenn es nicht gut ausgegangen ist zwischen uns beiden.“
Und so steht im Mittelpunkt eine Frau, die vor allem gegen sich selbst kämpft. Eine Frau, für die das Singen gleichzeitig Lebenszweck und Bürde ist und die sich ständig unverstanden fühlt. „Ich gebe alles“, klagt sie, „versuche, es jedem recht zu machen, erledige meine Arbeit besser und gewissenhafter als jeder andere, doch egal, was ich tue, es endet in einem Skandal.“ Bei Onassis findet sie die ersehnte Nähe, aber als sie sich ihm hingegeben hat, kühlt seine Leidenschaft ab, ihre Freude über die Schwangerschaft kann er nicht teilen.
All das erzählt Eva Baronsky in einer flotten Prosa, die freilich mitunter hart am Kitsch entlangschrammt. Da werden „lange, sehnsuchtsvolle Blicke“ getauscht, Unterhaltungen sind „private Inseln in der Endlosigkeit der Nacht“ und bei der ersten Begegnung von Maria und Aristoteles „geschah das Wunder: Die Seelen meiner Eltern erkannten sich“.
Solche stilistischen Verirrungen sind zum Glück eher die Ausnahme in einem Roman, der sich dem Phänomen Maria Callas auf ebenso ungewöhnliche wie unterhaltende Weise annähert: In Omeros Erzählung wird das Leben der Callas zur großen Oper, zu einem Bühnenwerk voller Dramatik und Leidenschaft. Man möchte sich gern vorstellen, dass auch die Callas selbst daran Vergnügen gehabt hätte.
Irene Binal