Quasthoff, Thomas
Die Stimme
Autobiografie
Die Biografie eines Menschen ist, wie schon der Begriff sagt, ein Bild seines Lebens. Wenn dieses Leben dann durch eine hohe künstlerische Leistung interessant ist, wächst die Chance, sie unter den musikinteressierten Lesern zu vermarkten. Um die Biografie von Thomas Quasthoff mit Interesse zu lesen, muss man kein Musiker sein. Hier schildert jemand ein Leben mit so viel Humor, Intelligenz und Witz, dass es ohne Weiteres in die Rubrik gehobene Unterhaltungsliteratur passt. Die Haltung der Eltern bei der Auseinandersetzung mit einem behinderten Kind, die Unterstützung auch durch den Bruder, durch Freunde und Lehrer werden so positiv geschildert, dass man zu dem Ergebnis kommt, ein schweres Schicksal wurde von einigen Menschen als zu bestehende Herausforderung angepackt.
Entsprechend hat Quasthoff seine Begabungen, seine Intelligenz und seinen Humor entwickeln können. Mit der Feststellung: Ich bin einer von achtzig Millionen behinderten Deutschen. Mir sieht man es nur gleich an, lebt er normal, indem er die Norm für sein Leben selbst bestimmt. Die Akzeptanz eines solchen Schicksals weitet den Horizont. Beispielsweise gibt es eine stattliche Anzahl von Menschen mit Erwachsenengröße, die ungern Aufzug fahren. Die dahinter stehende Angst ist nur eine andere so viel zu Normalität.
Der Sänger befasst sich mit der Musik, die er interpretiert, und geht sie unter vielfältigen Perspektiven an. Er ist musikwissenschaftlich gebildet, bringt Musikantisches in die Betrachtung ein oder auch außergewöhnliche Sichtweisen. Man liest keine musikwissenschaftlichen Analysen, sondern mit großer Kompetenz und emotionalem Engagement gezeichnete Werkbeschreibungen. Als Interpret bleibt er sich selbst treu: Er kennt seine Qualitäten und setzt sie entsprechend ein. Berichtet er von anderem als von Musik, ist immer außerordentliche Sachkenntnis festzustellen. Viele reden über Politik und Wirtschaft: Quasthoff lässt eine klare Kontur in seinen Ansichten erkennen. Berichte über Kollegen sind so zutreffend wie ehrlich. Bei Negativem geht er mutig Risiken ein. So beschreibt er das schockierende Verhalten von Kommilitonen und Musikhochschulpräsidenten der geistigen Elite unseres Landes. Und auch von Kollegen im Suff Gesagtes ist nüchtern betrachtet so unzumutbar, wie er es schildert, und mit bewundernswerter Souveränität wegordnet.
Die schwarze Pädagogik eines Internats hat es nicht geschafft, den Lernenden abzuschrecken, obwohl so manche Pädagogen versucht haben, ihren Masochismus auszuleben: Quasthoff ist gebildet, belesen, aufgeschlossen, neugierig. Auf dem Fußballfeld ist er als Junge so engagiert, dass ihm bis heute der Fanatismus und die Kenntnis geblieben sind. Den Teil seiner Karriere, den wir kennen, nennt er. Den Teil, den wir nicht kennen das Versagen der Stimme auf der Bühne während des Konzerts, die Art der Neidbekundungen ebenfalls junger aufstrebender Sänger , erwähnt er ebenfalls und komplettiert auf diese Weise tröstlich das Alltagsleben auch eines berühmten Sängers. Dem Musiker macht das Buch viel Freude; dem Nichtmusiker seis ans Herz gelegt.
Annette Brunsing


