Klaus Wüsthoff

Die Regentrude

Martina Gedeck (Sprecherin), Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt, Ltg. Ulrich Kern

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Klanglogo
erschienen in: das Orchester 01/2019 , Seite 70

Im Werkverzeichnis des 96-jährigen Klaus Wüsthoff steht die Ballettmusik Die Regenfee nach Theodor Storms Kunstmärchen Die Regentrude über der Orchestersuite Die Schelde, die am Anfang dieser CD erklingt. Diese „leichte Sinfonik“ sprudelt als dreisätzige Ouvertüre vor der Bearbeitung Die Regentrude locker dahin, gibt sich mit vollem Sound unter der antreibenden Verwendung von Woodblocks und Schlagwerk optimistisch tänzerisch und verschmäht ausladend schwelgerische Bögen nicht. Diese Musik spiegelt die Aufbruchstimmung der 1950er Jahre in Reinkultur. Ähnliche Klänge kennen nicht mehr ganz so junge Hörer von Märchenschallplatten.
Die Uraufführung der nun zur Sinfonischen Dichtung mit Erzähler(in) umgearbeiteten Fassung unter dem Titel Die Regentrude fand am 14. Januar 2018 durch das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) im Rahmen des Projekts „Kli­maglocken“ statt. Eines der wichtigen musikalischen Themen aus Die Regentrude erklang auf Turmglockenspielen anlässlich der 23. Weltklimakonferenz im November 2017 am Veranstaltungsort Bonn und 17 anderen Städten: ein prägnantes Tonsignal mit Appellcharakter zum Schutz von Natur und Ressourcen.
Storms „vor 100 Jahren“ spielendes Märchen ist beim Hören in den ersten Julitagen, in denen es in Mitteldeutschland aufgrund der ausbleibenden Niederschläge zu sehr frühen Getreideernten kam, eine keineswegs unzutreffende Warnung. Martina Gedeck verschmäht zum Glück den Überdruck melodramatischer Opern­prosa. Ihre fast spitze Artikulation setzt Zäsuren und alternative Farben in die musikalische Erfindung. Ulrich Kern ruft mit Präzision die Freude des Brandenburgischen Staatsorchesters wach. Die Musiker schwelgen in den liedhaften Bläsersätzen, den getupften Phrasen der Hölzer und sie gewinnen jedem der vielen Crescendi schöne Rundungen ab. Mit Professionalität ziehen sie kurz vor der Überflutung durch tonale Wonnen die Bremse.
Klaus Wüsthoff, der vor allem mit der Titelmelodie der ZDF-Nachrichten bekannt wurde, stellte sich den neuen musikalischen Anforderungen der Medien nach 1945 gerade dort, wo sich die Darmstädter Ferienkurse und die Donaueschinger Musiktage mit erklärtem Abstand rar machten. Wüsthoffs Stärke ist die treffsichere Untermalung, die präzise Verdichtung von Atmosphäre und Appell, die prägnante Themenfindung und eine plakative Palette der Orchesterfarben.
Das hört man auch in der Partitur der Regentrude. In dieser Aufführung als Suite stehen die musikalischen Gedanken fast immer schon kurz nach Beginn der Sätze felsenfest. Die folgenden koloristischen, sinfonischen oder dynamischen Bögen beinhalten nur selten unvorhersehbare Gedanken und Facetten. Letztlich passt das schon wieder zur artifiziellen Vereinfachung der Aussage in Storms Regentrude, die wieder erwacht und dann den erlösenden Regen bringen kann. Die Musik malt das mit unerschütterlicher Glaubensgewissheit an ein gutes Ende und folgt damit dem Optimismus der Volksmärchen lieber als den gebrochenen Weltbildern der Kunstmärchen.
Roland Dippel

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