Gillessen, Klaus

Die Physik des Klangs

Eine Einführung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Studio · Verlag, Sinzig 2013
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 67

Die strenge Trennung zwischen dem, was man in der Musik als deren „Geistigkeit“ und künstlerische Bedeutung bezeichnen könnte, und ihrer rein akustischen Erscheinungsform als klangliches Phänomen, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, in welcher sich „Kunst“ ganz allgemein von ihrer Materialität „emanzipiert“ zu haben vermeinte und sich nur noch in immateriellen Sphären abspielte. Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts hat ja allenthalben das „Material“ die Kunst wieder ein- und quasi auf den Boden der realen Tatsachen zurückgeholt. Seltsamerweise aber haben die allermeisten Konsumenten bis heute kaum ein Interesse, über jene Tatsachen besser als nur sehr oberflächlich unterrichtet zu sein.
Was die Musik angeht, ist das Bändchen Die Physik des Klangs aus der Feder von Klaus Gillessen dazu angetan, diesem Manko abzuhelfen bei vielen, die die Musik nicht einfach nur genießen, sondern auch etwas genauer verstehen wollen, was dabei eigentlich passiert. Zunächst geht es da um schlichte Grundlagen: „Ton und Zahl“ beschreibt die Verhältnisse zwischen schwingenden Saiten oder Luftsäulen und Wellenlängen. Danach werden die verschiedenen Instrumente nach ihren Wirkungsprinzipien unterteilt, wobei auch die menschliche Stimme ihren Platz zugewiesen bekommt.
Anschließend werden die Töne und Klänge gemäß ihrer physikalischen Eigenschaften und die Phänomene „Konsonanz“ und „Dissonanz“ beschrieben. Nach und nach gelangt der Autor dann auch zur realen Schallausbreitung und den Bedingungen etwa der Raumakustik, unter denen „Musik“ überhaupt erst vom Produzenten zum Hörer gelangen kann. Natürlich geht dies alles nicht ohne ein Mindestmaß an mathematisch exakter Darstellung, die sich aber auf das beschränkt, was auch im gymnasialen Schulunterricht vorkommt. Und der Vorteil von mathematischen Formeln besteht ja ohnehin darin, dass man sie auch anwenden kann, ohne ihre Herleitung verstanden zu haben. Außerdem erläutern viele grafische Darstellungen das im Text Beschriebene.
Ganz allgemein ist dieser Band dazu angetan, die Scheu vieler Musiker und Musikfreunde vor dem Bereich des Exakten und eben „Physikalischen“ in der Musik überwinden zu helfen und damit besser über die Voraussetzungen informiert zu sein, unter denen diese Kunst in der Realität überhaupt entstehen kann. Andererseits gibt der Autor auch unumwunden zu, dass man die enormen Leistungen der Instrumentenbauer und ihre jahrhundertealten Traditionen oder die Architekten berühmter his-
torischer Konzertsäle nur staunend bewundern kann, weil sie intuitiv das Richtige trafen, ohne exakte Berechnungen angestellt zu haben. Die Physik kann wohl zum Verständnis beitragen, aber nicht im Letzten erklären, warum Musik das Herz bewegt.
Gunter Duvenbeck