Braune, Isolde
Die Oper Schwarzschwanenreich von Siegfried Wagner
Eine Werkanalyse
Siegfried Wagner (1869-1930) hatte es als Sohn eines unsterblichen Vaters nicht leicht, sich selbst als Komponist durchzusetzen und ernst genommen zu werden. Erfolge hatte er als Traditionshüter der Bayreuther Festspiele: Nicht ungeschickt agierte er als Dirigent, Regisseur und Erneuerer des Grünen Hügels. Er hatte also durchaus Theaterblut geerbt. Seinen sechzehn Opern, die er als Märchen- oder Spielopern verstanden wissen wollte, war kein langes Leben vergönnt. Er hatte vom Vater gelernt, dass eine gute Oper mindestens vier Stunden zu dauern habe und dass man sich als Komponist das Libretto selbst schreiben muss. Was sich bei Richard zum genialen Gesamtkunstwerk entwickelte, mutierte bei ihm zu einem Riesenopus von manchmal genialer Naivität.
Ein etwas gruseliges Werk ist die 1918 in Karlsruhe uraufgeführte Oper Schwarzschwanenreich. Die Kriegswaise Hulda gerät in die Fänge der schwarzen Schwäne, die sich nachts in schwarze Reiter verwandeln. Sie lässt sich mit diesen Dienern des Satans ein und bekommt ein menschlich-satanisches Kind. Zum Zeichen ihrer Abkehr bringt sie diesen Wechselbalg um und vergräbt ihn im Wald. Diese unsägliche Tat hängt wie ein Damoklesschwert über der Handlung der drei Akte. Hulda wird am Schluss als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Die Literaturwissenschaftlerin Isolde Braunn hat dieses Werk mit der Gründlichkeit einer Pathologin untersucht und nach allen möglichen Analysekriterien hin auseinandergenommen. Für alle der auftretenden Personen in diesem Drama wird ein umfangreiches Psychogramm gezeichnet, sie heißen u.a. Liebhold, Oswald, Ursula oder das Aschenweibchen. Der Schauplatz ist Böhmen im 17. Jahrhundert. Die Szenenbilder und die einzelnen Gegenstände auf der Bühne werden nach ihrer Symbolik hin abgeklopft, alle Baustoffe der Oper nach ihren Funktionen durchleuchtet.
Sehr gut informiert zeigt sich die Autorin auch in den Fragen der musikalischen Analyse. Auf vielen Seiten kann man einzelne Szenen aus dem Klavierauszug nachlesen. Es werden so die verschiedenen Arien der Protagonisten nach ihrer Tonarten-Symbolik befragt, wie man das von den Opern des Vaters her auch kennt. Da Siegfried Wagner oft eigene Erlebnisse oder Erfahrungen in seine Libretti einfließen ließ, werden hier die Tagebuchaufzeichnungen einer Asienreise von 1892 ausgewertet: Als besondere Touristenattraktion wurde er in das Frauengefängnis von Kanton (China) geführt und bekam dort Kontakt zu einer zum Tode verurteilten Frau, die ihr Kind umgebracht hatte. Auf vielen Seiten vergleicht die Autorin die Tagebucheintragungen mit dem Operntext.
Die Struktur dieser merkwürdigen, nicht oft aufgeführten Oper so minutiös und akribisch nach allen Seiten hin zu durchleuchten und zu befragen, war eine unendliche Fleißarbeit. Bei der Auflistung des Quellenmaterials fällt auf, dass man sich mit dem Werk Siegfried Wagners verbal sehr vielseitig auseinandergesetzt hat. Seine Opern sind aber so gut wie vergessen, es gibt hin und wieder noch einmal konzertante Aufführungen. Der Band wird kein Bestseller, er ist aber für Musikbibliotheken und Theaterwissenschaftler ein wichtiges Handbuch und Nachschlagewerk.
Wolfgang Teubner