Lang, Fritz
Die Nibelungen
Siegfried und Kriemhilds Rache, The Original Motion Picture Score by Gottfried Huppertz. hr-Sinfonieorchester, Ltg. Frank Strobel
Eine Kopie aus Argentinien schaffte erst vor wenigen Jahren mehr Klarheit über die originale Schnittversion von Fritz Langs Film Die Nibelungen von 1924 und damit auch zur viereinhalbstündigen Partitur von Gottfried Huppertz (1887-1937). Endlich kamen Bild und Ton des heroisch-expressionistischen Stummfilm-Wunders wieder ganz nahe zusammen. Nach der Sendung auf Arte am 3. Oktober 2011 sind jetzt auch an der vollständigen CD-Einspielung Vorurteile und Kenntnisgewinn überprüfbar. Hat Huppertz Partitur Substanz ohne bewegte Bilder? Strahlte der Einfluss Wagners in die tönende Rede des Films?
Das Eintauchen in die plakativ gekonnte und stellenweise überraschende Partitur war gewiss ein Fest für Frank Strobel, den Topp-Cinéasten unter den deutschen Dirigenten. Und dazu eine besondere Aufgabe: Huppertz scheute immer Assoziationen und Vergleiche mit der Tetralogie Wagners. Tatsächlich folgten beide Partituren verschiedenen Gestaltungsprinzipien. Wagner fütterte die dramatischen Aktionen zum Bersten mit semantischer Bedeutungsdichte. Huppertz dagegen blieb mit Themen und Harmonien immer linear am visuellen Geschehen. Beide Komponisten beabsichtigten Sogwirkungen: Wagner wischte hypnotisierend über auf der Bühne schwer zu bewältigende Special Effects hinweg. Huppertz illustrierte ausladend alle magischen Momente von Langs ornamentalen Arrangements, Crescendi steigern die Spannung immer analog zu Augenduellen und Gewaltattacken. Huppertz hielt sich dabei in ähnlich kreativer Distanz zum übermächtigen Vorbild wie Debussy im Pelléas, den Pierre Boulez ein ohne Wagner undenkbares Kunstwerk nannte.
Wagnersche Intonationsfolgen und Motivsplitter scheinen dann doch in anderen Kontexten der Filmpartitur auf Siegfrieds Weltneugier, Hagen, der lustig will sein, auch die Tarn- und Trug-Chromatik der Götterdämmerung im Räderwerk von Kriemhilds Rache. Und das ohne die Absicht nationalistischer Propaganda: Zu den Schaustellungen am Hunnenhof tönt es geschmeidig à la Tschaikowsky und Ballet Russe. Diese Zäsur überrascht in den Wogen akademischer Romantik, pseudonaiver Volksliednähe und expressionistischer Tutti: Durch sie wird die moralische Position von Nibelungen und Barbaren dialektisch. Große dynamische Kontraste, Verdopplungen der Stimmen, Liedhaft-Inniges, Harfenrauschen und Klavier-Arpeggien Huppertz unterfütterte eklektizistische Reize mit frühmodernen Reibungen, die Frank Strobel am Pult schärfte.
Anders als Star Wars oder Ben Hur gab es Huppertz Nibelungen wohl noch nicht als Sinfoniekonzert ohne Bilder. Hier wären noch viele weitere Entdeckungen von Klangdetails möglich. Tatsächlich könnte das hr-Sinfonieorchester mehr Kontur und Feinschliff zeigen bei dieser spannenden Pionieraufgabe als Begleitinstrument waren nicht alle seiner Vorzüge gefordert.
Roland H. Dippel