Wolfgang Hering

Die Mozartin – Mutter und Sohn

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Florian Noetzel
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 61

Den Müttern großer Genies vergangener Zeiten wurde meist weniger Aufmerksamkeit geschenkt als ihren Vätern – wie Frauen in der Kunstwelt auch allgemein erst spät in den Blick genommen wurden. Der Blick auf die Mütter ist dabei noch verborgener als der auf Gattinnen oder Schwestern großer Künstler: Das übliche Frauenbild und zeittypische Klischees versperren die Sicht, wobei paradoxerweise weniger oft bestritten wird, dass viele Künstler ihre feine Beobachtung, ihr zartes Gemüt oder ihre überbordende Fantasie eher von weiblichen Familienmitgliedern übernommen haben oder diese Eigenschaften durch diese zumindest gefördert wurden.
Goethe immerhin bekannte, dass er von seiner Mutter „die Frohnatur und Lust zu fabulieren“ geerbt habe. Das ist aber unter Poeten, Musikern und Malern gerade im 19. Jahrhundert fast schon das höchste der Gefühle, das Müttern allgemein entgegengebracht wird.
Auch über Mozarts Mutter Maria Anna, die aus den Briefen der Familie weit bekannter ist als viele andere, weiß man im Grunde dennoch fast nichts. Sie wurde daher von Mozart-Biografen häufig falsch oder unzureichend charakterisiert und ihr Einfluss auf den Sohn möglicherweise unterschätzt.
Wolfgang Hildesheimer schildert sie etwa als „schlicht, unbeholfen“ – eine häufige Einschätzung, die ihre Quelle wohl in den überlieferten Briefen hat: Diese strotzen bekanntermaßen vor orthografischen Eigenwilligkeiten und offenbaren weniger tiefgreifende Einsichten – wie man sie von ihrem Sohn oder auch von ihrem Gatten kennt – als einen oft derben Humor. Große Brief-Konvolute sind allerdings verloren gegangen.
Wolfgang Hering versucht nun, der „Mozartin“, wie sie sich selbst nannte, näher zu kommen. Er fasst bekannte Lebensdaten zusammen und erstellt ein differenziertes Lebensbild dieser Frau, die 1720 in St. Gilgen in bescheidene Verhältnisse hineingeboren wurde. Im Zentrum freilich stehen auch hier die Briefe der Familie Mozart, vor allem jene der Reise, die sie mit ihrem Sohn nach München, Mannheim und Paris unternahm, wo sie 1778 starb.
Neben den Fakten interessiert den Autor auch der Blick aus psychologischer Sicht: etwa auf den Umstand, dass die Mutter 1777/78 bemerkt haben muss, dass ihr Sohn längst kein Kind mehr war, sondern zum jungen Mann mit erotischen Ambitionen heranreifte. Die Briefe beider an den Gatten und Papa in Salzburg spiegeln ein durchaus ambivalentes Verhältnis.
Inwieweit der Sohn nach ihrem Tod in Paris die Schuld daran allein in sich sah und die Erinnerung an seine Mutter in seine nun ansetzende Opernproduktion einfloss: Das sind interessante Fragen, deren Beantwortung aber größtenteils Spekulation bleiben muss.
Matthias Roth