Stefan Zednik

„Die Mörder sitzen in der Oper!“

Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kadmos, Berlin
erschienen in: das Orchester 04/2023 , Seite 63

Neu ist die Mutmaßung zwar keineswegs: Geschichten und Stoffe, die auf der Bühne im Rahmen von Opernaufführungen singend verhandelt werden, sind nicht losgelöst von einer außerhalb des Opernhauses tobenden Wirklichkeit wahrzunehmen. Stefan Zednik vermag in den von ihm ausführlich erläuterten Beispielen indes, das hierzu bereits grundsätzlich Bekannte im Einzelnen genauso konkret wie erhellend zu begründen.
So eröffnen die insgesamt sieben (opern-)historisch je unterschiedlich akzentuierten Exkursionen manch überraschenden Fragehorizont und lassen ansonsten eher vernachlässigte Deutungskontexte transparent werden. Gleich eingangs und nachgerade paradigmatisch im Sinne seiner Kernthese thematisiert der Autor die Begleitumstände jener Zauberflöten-Aufführung anlässlich des Staatsbesuchs von Schah Reza Pahlavi am 2. Juni 1967 in der Berliner Staatsoper, zu der zeitgleich und in unmittelbarer Nähe des Opernhauses der Student Benno Ohnesorg von einer Polizeikugel getötet wird. Im Weiteren geht es etwa um Fragen wie diese: Inwiefern spiegeln sich gesellschaftlich-mentale Verfasstheit und politische Verhältnisse ganz unmittelbar im Opernsujet selbst? Unter der Überschrift „Musikalische Jägerschaft in Zeiten des Polizeistaats“ werden hier Webers Freischütz (1821) und Lortzings Wildschütz (1842) als exemplarisch gedeutet für die Bedingungen künstlerischer Produktion in der postnapoleonischen Ära. Und: Was hat es mit dem Phänomen auf sich, dass die Verfilmung der Schönberg-Oper Moses und Aron (1974 durch das Filmemacher-Paar Straub und Huillet) einem durch Hungerstreik verstorbenen Terroristen gewidmet ist?
All diese und weitere Erkundungen machen wie in einem Brennspiegel deutlich: Die Bezüge, ja Verstrickungen zwischen Oper und Gesellschaft, Bühne und Leben, Kunst und Politik sind komplex und diffus. Die Zusammenhänge im Hintergrund aufzuspüren, dafür braucht es einen differenzierenden Blick, über den der Autor ohne Zweifel verfügt. Allerdings bleibt eine Einschränkung: So kundig und plausibel Zednik argumentiert, so deutlich leitet (s)eine kulturkritische Perspektive den Untersuchungsansatz, was hier und da mit einer gewissen Neigung zur Überinterpretation einhergeht. Das zeigt sich auch in der Wahl des Titels. Denn die zitierte Zeile eines Gedichts von Walter Hasenclever (1917/19) mit ihrer zugespitzt-provokanten Behauptung wird solchermaßen herausgelöst aus dem Kontext, wie ihn der Autor (im Text) einleuchtend herstellt, wenn er die Zeitgleichheit zur Strauss-Hofmannsthal-Oper Ariadne auf Naxos (1916) betont. Und auch der Untertitel wirkt missverständlich. Denn die hier unternommenen Untersuchungen plädieren doch gerade dafür, Oper in ihrer politisch-gesellschaftlichen Zeit-Gebundenheit ernst zu nehmen.

Gunther Diehl