Richard Wagner

Die Meistersinger von Nürnberg

Staatskapelle Dresden, Ltg. Christian Thielemann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil / Edition Günter Hänssler
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 70

Natürlich spielt die Sächsische Staatskapelle wunderbar, die „Wunderharfe“ Richard Wagners. Aber in der extrem langsamen und dynamisch unausgewogenen Lesart Christian Thielemanns, die Klangbalance und musikalische Dramaturgie vernachlässigt, gerät das herrliche Werk dröge, ja langweilig.
Wer die umstrittene Inszenierung sah, weiß, wovon ich rede. Weder Spannung noch Esprit, Vitalität noch Launigkeit kann man Thielemanns Lesart bescheinigen. Wehmütig denkt man an die Aufnahmen Rafael Kubeliks, Silvio Varvisos, Joseph Keilberths oder Fritz Buschs, ganz zu schweigen von der im Gegensatz zur damals in Deutschland vorherrschenden Lesart gänzlich unteutonischen Salzburger Aufführung Arturo Toscaninis 1937, die ja als Mitschnitt erhältlich ist.
Schwerfällig, pathetisch, ernst und „deutsch“ hören sich die Meistersinger Thielemanns dagegen an. Streckenweise spielen die Streicher fast unhörbar leise, dafür sind die Bläser und das Holz fast immer viel zu laut. In der Festwiese und beim Wach-auf-Chor ist er dann in seinem musikantischen Element. Die Chöre überzeugen durchweg.
Die meisten Solo-Gesangspartien sind allerdings zu leicht besetzt. Jacquelyn Wagner als Eva ist streckenweise gar nicht zu hören, kommt oft nicht übers Orchester. Nur im Quintett beweist sie, dass sie sehr nobel singen kann. Aber sie hat – mit Verlaub gesagt – eine zu kleine Stimme sowohl für das Dresdner wie das Salzburger Haus dieser Koproduktion. Auch ihre Wortverständlichkeit ist mangelhaft, noch mehr die von Christa Mayer als vernuschelte Magdalene. Kein Problem stimmlicher Präsenz und hervorragender Wortverständlichkeit hat (wie immer) Klaus Florian Vogt als (etwas lohengrinhafter) Walther von Stolzing. Doch seinem Walther fehlt jugendliche Virilität, Eros, Draufgängertum. Auch Georg Zeppenfeld ist zweifellos einer der kultiviertesten Sänger seiner Generation. Doch für den Hans Sachs ist seine Stimme – es sei gestattet – zu schlank, zu „intellektuell“, zu jung. Immerhin singt Adrian Eröd als Beckmesser fern jeder Judenkarikatur einen noblen Stadtschreiber. Großartig ist der Pogner, dem Vitalij Kowaljow seinen samtig erdigen Bass leiht. Der David von Sebastian Kohlhepp dagegen fällt durch unüberhörbare stimmtechnische Mängel auf. Die übrigen Meister sind sehr ordentlich besetzt. Der gut fokussierte, freiströmende Tenor von Patrick Vogel als Ulrich Eißlinger ragt hörbar aus dem Ensemble heraus und empfiehlt sich schon jetzt als künftiger Stolzing.
Leider lässt die Aufnahmetechnik des mulmig-dumpfen, unpräsenten CD-Mitschnitts sehr zu wünschen übrig. Und einige Texte des Booklets offenbaren erstaunliche Unkenntnis bisheriger Meistersinger-Gesamtaufnahmen, aber auch gründliche Fehleinschätzungen vorliegender Produktion aufgrund musikpatriotischer Selbstbeweihräucherung.
Dieter David Scholz