Joseph Horowitz
Die Mahlers in New York
Roman. Aus dem Amerikanischen von Christian Much
Als Alma und Gustav Mahler im Jahr 1907 nach New York reisten, befanden sie sich in einer Lebenskrise: Vor Kurzem war ihre älteste Tochter an Scharlach und Diphterie gestorben, bei Mahler selbst wurde ein Herzklappenfehler diagnostiziert. In der Ehe der beiden kriselte es und Mahlers Karriere war nach Konflikten mit der Wiener Hofoper ins Stocken geraten. New York sollte ein Neubeginn sein, und hier setzt der Roman von Joseph Horowitz ein, in dem der US-Musikkritiker und Kulturmanager die Zeit der Mahlers in der Ostküstenmetropole aus einem amerikanischen Blickwinkel beleuchtet. „Alle mir bekannten Mahler-Biographien sind aus der europäischen Perspektive geschrieben“, erläutert Horowitz im Vorwort. „Nicht anders als Mahler selbst verraten auch sie, dass sie von der Neuen Welt […] nur wenig verstanden haben.“
So widmet sich Horowitz zwei Menschen, die versuchen, in New York Fuß zu fassen – und die daran aus eigener Schuld scheitern. Mahler lehnt die amerikanische Musik ab, weigert sich, seine Konzerte mit günstigeren Tickets einer breiteren Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen – und wird als arrogant und starrsinnig empfunden. Alma Mahler hadert mit der amerikanischen Gesellschaft, sie hat Heimweh und beginnt eine Affäre mit dem Architekten Walter Gropius, was ihren Mann in eine tiefe Krise stürzt. Der hoffnungsvolle Aufbruch in die Neue Welt mündet in ein Drama, an dem beide zu zerbrechen drohen.
All das zeichnet Joseph Horowitz mit großer Detailtreue und anhand akribischer Recherchen nach. Sein Roman ist weniger eine stringente Erzählung, vielmehr ein Eintauchen in die Gedanken- und Gefühlswelten von Gustav und Alma Mahler. „Ich wünschte mir, dass Mahler etwas geschickter, etwas diplomatischer wäre“, seufzt Alma, während Mahler seine Melancholie in Musik übersetzt: „Erzählten nicht auch seine Symphonien von Entfremdung? Sirenengesänge der Erinnerung, der Kinderlieder aus Iglauer Tagen? Nachklänge von Paraden, Blumen und Wiesen, die sich allen Unglücksverheißungen zum Trotz den Weg zu seinem Kopf und seinem Herzen freikämpfen wollen?“ In Horowitz’ schillerndem Text verschwimmen Fakten und Fiktion, romanhafte Passagen werden mit Briefen oder Kritiken ergänzt. Horowitz berichtet von Mahlers fragwürdigem Umgang mit Musiker:innen, von großen Erfolgen und ebenso großen Misserfolgen oder von der musikalischen Gesellschaft in New York.
So entsteht ein plastisches Bild der Musikszene in New York, einer lebendigen und vielfältigen Szene, die den Mahlers dennoch über Jahre hinweg fremd blieb. „Keiner von beiden hat sich mit der Sprache oder den Sitten der New Yorker vertraut gemacht“, schreibt Horowitz und zieht ein trauriges Resümee: „Sie kamen als Außenseiter an und blieben es.“
Irene Binal