Dalton, David
Die Kunst des Violaspiels
Gespräche mit William Primrose
Was ist das Besondere des Violaspiels? Soll man von der Violine auf die Viola umsteigen oder ist es besser, sofort mit der Viola zu beginnen? Was unterscheidet Viola- von Violinspiel? Diese und viele weitere Fragen stellte David Dalton William Primrose, dessen Schüler er war und den er 1977 einen Monat lang besuchte, um mit ihm intensive Gespräche zu führen. Fünf Jahre später starb der Violavirtuose an Krebs.
William Primrose war einer der wichtigsten Pioniere des Violaspiels. Er machte die Bratsche maßgeblich zu einem Soloinstrument. In den Gesprächen mit Dalton zeigen sich eine unprätentiöse Haltung, typisch britischer Humor, vor allem aber eine tiefe Kenntnis des Instruments als Summe einer lebenslangen Beschäftigung auf höchstem Niveau. So ist dieses Buch das Vermächtnis eines der bedeutendsten Solisten des 20. Jahrhunderts.
Man kann aus diesen Gesprächen viel lernen, vor allem als Bratscher. Welche Bratsche soll man spielen? Ein großes Instrument oder ein vergleichsweise kleines? Primrose zeigt sich in dieser Frage, wie in den meisten, offen und flexibel. Gewiss hängt die Wahl des Instruments von der Größe des Spielers ab, meint er, vor allem aber auch vom Klangideal: Bei solistischer Musik bevorzugt er eine kleinere Bratsche mit dem Ton eines Mezzosoprans, allerdings sollte die C-Saite dennoch gut klingen.
Wertvoll sind seine Hinweise zur Haltung. Anhand zahlreicher Fotos wird dokumentiert, wie Primrose die Viola hielt. Ihm gelang es, das Instrument ein Leben lang ohne Haltungsschaden zu spielen. Wichtig waren ihm die Lockerheit der linken Schulter, das Vermeiden von Erstarrungen und eine flexible Haltung, angepasst an das Lagenspiel und an die gerade verwendete Saite. Dabei wendet er sich vehement gegen eine Schulterstütze. Einen wesentlichen Unterschied zum Violinspiel sieht er in der Bogenhaltung. Die Viola darf nie mit Druck gespielt werden, ist sein Credo. Deshalb hält er den rechten Oberarm ziemlich tief.
Ein anderer wichtiger Unterschied sind die Fingersätze: Den Klang der leeren Saiten hält Primrose zentral für den besonderen Charakter der Viola. Anhand von zahlreichen Notenbeispielen erläutert Primrose Stricharten und Fingersätze, gibt hilfreiche Hinweise für die Technik des linken und rechten Arms. So ist dieses Buch für Violaspieler eine unerschöpfliche Fundgrube.
Doch darüber hinaus sind diese Gespräche für jeden Musiker und Musikliebhaber ein großer Gewinn. Primrose teilt viele Ansichten und Erkenntnisse zu allgemeinen Fragen mit, etwa zur Musikpädagogik, zum Lehrer-Schüler-Verhältnis, zum Üben, zum Auftritt auf dem Konzertpodium, zur Nervosität, zur Programmgestaltung, zu Wettbewerben und zu bedeutenden Musikern des 20. Jahrhunderts. Der Leser erhält so ein lebendiges Bild des Menschen und Künstlers Primrose und seiner Zeit.
Franzpeter Messmer