Robert Sollich
Die Kunst des Skandals
Eine deutsche Operngeschichte seit 1945
„Eine deutsche Operngeschichte seit 1945“ nennt sich das 600-seitige Buch von Robert Sollich, Theaterwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und freier Dramaturg. Der Haupttitel lautet Die Kunst des Skandals. Es ist die Rede von der Geschichte der Opernskandale, um nicht zu sagen von Geschichten um Opernskandale. Der Autor selbst bekennt in seiner Dissertationsschrift, seine Studie wolle „im Theaterskandal“ einen „Extremfall von Theater erkennen und ihn deshalb […] nicht nur als Spezialfall, sondern, mehr noch, als Präzedenzfall einer Ästhetik des Performativen untersuchen“. Extremfall verstanden als „Machtkampf zwischen Akteuren und Zuschauern“, wie die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte ihn definiert. Es geht also um „das Verhältnis des Theaters zur Gesellschaft“. Analog zur bildenden Kunst ist vom „Feld des Theaters“ die Rede. Das „Feld der Oper“ sei ein „Unterfeld“, dessen Funktionsweise sich „vermittels der Geschichte seiner Skandale besonders prägnant“ studieren lasse. Die „Schockerfahrung“ des Skandals wird nach diesem Verständnis als „Qualitätsausweis“ verstanden. Oper sei schon von Theodor W. Adorno schließlich als „rechtfertigungsbedüftig“ bezeichnet worden. Und so ist Sollichs Buch nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein „Kompendium“ der Opernskandale: der Skandal, begriffen „als Katalysator des kulturellen Wandels“.
Die Auswahl Sollichs reicht von dem Skandal um Henzes König Hirsch und der deutschen Erstaufführung von Schönbergs Moses und Aaron über Wieland Wagners verschiedenen Meistersinger-Inszenierungen in „Neubayreuth“, Götz Friedrichs Tannhäuser-Skandal ebendort, den Chéreau-Ring und seine Folgen, der Elektra der Ruth Berghaus, der Aida von Hans Neuenfels in Frankfurt bis zu dessen Idomeneo in Berlin. Grotesken, Provokationen und Skandale von gestern und vorgestern sind es, zwischen „Ausgrabung und Grabschändung,“ „Lokalposse und Welttheater“, Werktreue und Regietheater, die Sollich interessieren.
Allen Lippenbekenntnissen von der „hochtheatralen Qualität von Skandalen“ und der bisher mangelnden theaterwissenschaftlichen Erforschung derselben zum Trotz kann man füglich diese imposante, will sagen umfangreiche Fleißarbeit ungelesen ad acta legen, ohne etwas Wichtiges an neuer Einsicht verpasst zu haben. Vieles von dem, was man liest, ist bereits andernorts hinlänglich beschrieben worden, auf die Kritikerschelte des nicht gerade an mangelndem Selbstbewusstsein leidenden Autors kann man getrost verzichten. Oftmals geht es aber auch nur um theaterwissenschaftliche, rein theoretisch-methodologische Überlegungen, die in einem – mit Verlaub gesagt aufgeblähten – Wissenschaftsjargon daherkommen, dem wohl nur wenige Leser werden folgen können oder wollen.
Dieter David Scholz