Andreas Rawitzer
Die Kompositionsskizze zu Richard Wagners Die Walküre
Vollständige, kritisch kommentierte Edition
Nur sechs Monate benötigte Richard Wagner, um die Kompositionsskizze zu seinem Musikdrama Die Walküre niederzuschreiben – eine erstaunlich kurze Zeit für ein Werk von fast vier Stunden Dauer! Doch natürlich: Die Skizze entspricht nicht exakt dem, was am Ende dann in der Partitur stand. Vielmehr lässt sich aus ihr ersehen, wie intensiv sich der Komponist mit diesem Werk auseinandersetzte, wie sorgfältiger daran feilte und verbesserte, strich und ergänzte – unschätzbar wertvolle Erkenntnisse für jeden, der sich mit dem Großmeister des Musikdramas und seinem OEuvre auf wissenschaftlichem Niveau befassen möchte. Allerdings lässt sich all dies leider auch nur dann ersehen, wenn man mit Wagners Handschrift sehr vertraut ist; der in dieser Hinsicht nicht fundiertest geschulte Leser dürfte schon nach wenigen Seiten an der Sache verzweifeln. Für dieses Problem schafft die vorliegende Ausgabe Abhilfe. Andreas Rawitzer, Musikwissenschaftler und Wagner-Spezialist, hat sich die Mühe gemacht, die Kompositionsskizze zur Walküre Zeichen für Zeichen in moderne und sehr lesbare Notenschrift zu übertragen und diese Übertragung dann auch noch Zeile für Zeile zu kommentieren. So kann man in diesem 522 Seiten starken Band nun also den höchst spannenden Prozess verfolgen, wie Wagner seine Musik unter seinen Text legt, notiert und wieder verwirft, durchstreicht und übermalt. Dabei verwendete der Komponist meist zwei oder drei, vereinzelt auch einmal mehr Notenzeilen, die er zu Akkoladen zusammenfasste: In der Obersten steht gewöhnlich die Vokalpartie, in der bzw. den Unteren der (naturgemäß meist auf die wesentlichen Stimmen und Motive reduzierte) Orchesterpart. Diese Akkoladen wurden in der vorliegenden, im Querformat gehaltenen Ausgabe jeweils auf dem rechten Blatt einer Doppelseite abgedruckt, während auf dem linken die Kommentare versammelt sind. In diesen kommentiert und erklärt der Autor beispielsweise das, was im Druck nicht mehr so klar sichtbar ist wie in einer Handschrift, in der man etwa zwischen Bleistift- und Tinteneinträgen oder Notierungen mit unterschiedlichem Schreibdruck unterscheiden kann. Wo einzelne Passagen in der Handschrift gänzlich unleserlich oder unvollständig sind, bietet Rawitzer im Kommentarbereich sogar Auszüge aus der Partiturerstschrift oder endgültigen Partitur, oder er gibt Vorschläge, wie etwa eine nicht mehr leserliche Phrase lauten könnte. In einem Extrakapitel kann man dann auch noch nachschlagen, wo sich die Vokalparts dieser Skizze von der Partiturerstschrift und der letzten Fassung unterscheiden. Durch die geschickte Anordnung von Noten und Kommentar, aber auch durch die präzise Formulierung der Kommentare ist diese Ausgabe sehr übersichtlich; Druck und Qualität sind gut – der Erkenntnisgewinn ist enorm. Nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für Musiker und selbst für wagnerbegeisterte Musikfreunde dürfte diese Ausgabe darob eine echte Bereicherung der Wagner-Bibliothek darstellen!
Andrea Braun