Köhler, Armin (Hg.)

Die Innovation bleibt immer auf einem Fleck

Die Donaueschinger Musiktage und ihr Metier. Begleitende Texte zum Festival

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 06/2012 , Seite 62

Der Titel dieses Jubiläumsbuchs, ein Zitat, lässt Hintersinn vermuten. Fleck der Innovation: der Ort Donaueschingen, seit 1921 – stetig an Umfang, Vielfalt und Profil gewinnend – Inbegriff eines Festivals der Genie-Autoren, der Spezialisten, der wegweisenden Projekte und heute Zentrum für „weltweit einzigartig neue Präsentationsformen aktueller Orchestermusik“ (Armin Köhler). 2011 haben 20 Uraufführungen dafür wiederum ein Zeichen gesetzt.
Fleck der Innovation: das Thema. Das Andere und Neue wird durch jene Positions- und Kontext-Bestimmungen definiert, die der Kulturökonom Boris Groys vornimmt und dabei, wie das gesamte erste Kapitel „Musik und Fortschritt“ grundsätzlich, die Frage aufwirft, ob die Idee der Avantgarde und deren gesellschaftskritische Impulse im Zeitalter der Postmoderne überlebensfähig bleiben können. Die folgenden Kapitel legen den Fokus auf musikalische Gattungen, Institutionen und Formen, auf das Verhältnis von Raum und Musik, das mit dem Einbezug des SWF-Sinfonieorchesters ab 1950 einen besonderen Platz in der Konzeption der Festtage einnimmt, auf Musik und Sprache, auf die Rolle der Elektronik und damit auf die Mitwirkung des Freiburger Experimentalstudios des SWR und des IRCAM, auf selbstspielende Instrumente, auf das Festival und das Mäzenatentum und schließlich auf die Jazz-Sessions, die seit 1954 wesentlicher Programmbestandteil sind.
Der vielfältige Blick auf das Komplexe, das enorm Aufwändige dieser Veröffentlichung ist dem Anlass angemessen: Sie wählt 34 Beiträge aus den Programmbüchern zwischen 1974 und 2010 aus und versammelt dabei 20 Autorinnen und Autoren – ein Kompetenzcluster von namhaften Vertretern verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen und Kunstgattungen. Ihre Auslassungen zu den acht Themenkreisen beeindrucken durch feuilletonistischen Schliff, theoretischen Tiefgang und verbale Anschaulichkeit, die anhand von Namen und Stücken und durch viele Fotos vertieft wird. Und mit seinen sieben umfangreichen Texten und Interviews steuert der Herausgeber zu den Reflexionen ein erhebliches Maß an Authentizität bei – ein zusätzlicher Gewinn bei der Lektüre.
Armin Köhler leitet die Musiktage seit 1993 und setzte mit Klangkunst und alternativen Präsentations- und Rezeptionsformen ein neues, eigenes Markenzeichen. Auch der „Sound“ von Donaueschingen wird bestimmt: in Stücken, „in denen sich das Orchester jeweils wieder neu definiert“
(Lydia Jeschke), bei aufregenden klanglichen Fundstücken und visionären Entwürfen. Köhlers Dokumentation führt Josef Häuslers berühmtes Jubiläumsbuch von 1996 beeindruckend weiter. Und dank längst etablierter CD-Serien bleiben Donaueschingens Klanglandschaften nicht nur der Fest­spielgemeinde vorbehalten – sie sind auch als Beispiele für das im Buch ausgesparte Kapitel „Klangkunst“ zu hören. Die Eigenart von Klang-Licht-Installationen aber, die Verschmelzung von „Installationstypus und Konzertform“, lässt der Bucheinband erahnen. Mit einer faszinierenden Momentaufnahme.
Eberhard Kneipel