Grymes, James A.

Die Geigen des Amnon Weinstein

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Open House, Leipzig 2016
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 58

Auch wenn schon oft gezeigt wurde, dass alte Geigen keineswegs grundsätzlich besser klingen als neue Instrumente, so scheint von Violinen mit längerer „Geschichte“ eine ganz besondere Faszination auszugehen: Unter welchen Umständen mögen sie entstanden sein? Verwendete der Geigenbauer besondere, geheime Rezepturen für den Lack? Wer hat sie besessen? Wo wurden sie gespielt? Zumindest um die letzten beiden Fragen geht es auch im Buch von James Grymes, der allerdings weniger die Geschichte berühmter Streichinstrumente skizziert. Ihm geht es um die Besitzer der Geigen, die im Horror des Holocaust mit ihren Instrumenten (und manchmal auch trotz ihrer Instrumente) überlebten. Dass in diesem Zusammenhang zwei Namen berühmter Geigenbauer – Guarneri und Amati – fallen, ist eher Zufall.
Kennengelernt hat James Grymes, Professor für Musikwissenschaft an der Universität von North Carolina (USA) in Charlotte, die sieben Geigen, deren Besitzer in den Kapiteln seines Buchs im Zentrum stehen, bei Amnon Weinstein. Weinstein ist Geigenbauer in Tel Aviv und gilt als Fachmann für die Reparatur stark in Mitleidenschaft gezogener Violinen, die ihm oft von Familien von Holocaust-Überlebenden in die Werkstatt gebracht werden. Welch bedrückende, verstörende, menschliches Vorstellungsvermögen oft weit überschreitende Erfahrungen die Besitzer der sieben Violinen durchmachen mussten, hat Grymes in seinem Buch detailtief und packend herausgearbeitet.
Der Titel des amerikanischen Origi­nals – Violins of Hope – mag eine Ahnung davon geben, welche Bedeutung ein Instrument für Erich Weininger in Dachau oder Henry Meyer in Auschwitz besaß. Violinen retteten in diesen Zeiten Menschenleben, sie und die Fähigkeit auf ihnen zu spielen, waren in den Konzentrationslagern der Nazis schlicht Lebensversicherungen.
Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ein solches Instrument, das unter den Augen des Geigenbauers Amnon Weinstein zunächst nicht besonders kostbar erscheint, aufgrund der Biografie seines (Vor-)Besitzers einen ganz anderen Wert erhält. Doch selbst ohne Zweifel äußerst wertvolle Instrumente wie die Geige von Ole Bull erscheinen in einem anderen Licht, erzählt man die Geschichte derer, die auf ihnen gespielt haben; in diesem Fall die einigermaßen glücklich ausgegangene von Ernst Glaser, dem Konzertmeister der Osloer Philharmoniker in den 1940er Jahren.
Grymes wäre nicht Musikwissenschaftler, würde er den Blick nicht auch auf die größeren (musik-) geschichtlichen Zusammenhänge lenken, in die die Schicksale der Protagonisten seines Buchs ver-
woben sind. So lernt man im ersten Kapitel viel über die Entstehung des späteren Israel Philharmonic Orchestra und die Rekrutierung seiner ersten Musiker. Hier sind es die Namen berühmter Musiker, die erahnen lassen, wie wichtig dieses Stück Musikgeschichte damals war. In der minutiösen Beschreibung des Musiklebens in den Vernichtungslagern der Nazis hingegen wird klar, wie Musik selbst in Situationen größter Not und Bedrohung noch Trost und Hoffnung vermitteln kann.
Daniel Knödler

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