Johann Strauß
Die Fledermauß
Ouvertüre, hg. von Johann-Strauß-Gesellschaft Wien unter Ltg. von Fritz Racek, Urtext, Partitur
Bislang hat mir die 1968 von Hans Swarowsky herausgegebene Eulenburg-Taschenpartitur der Fledermaus gute Dienste geleistet. Sie verzichtet auf das Etikett „Urtext“, hat aber dennoch einen umfangreichen Revisionsbericht. Swarowskys Ausgabe nimmt das Autograf als Grundlage, das erst 1962 bei einer Auktion wieder auftauchte, nachdem es 1938 von der Gestapo beschlagnahmt worden war. Es fehlen hier allerdings einige Nummern, die in Kopien des Autografs erhalten blieben.
Zwölf Jahre nach Swarowskys Ausgabe nahm die Johann-Strauß-Gesellschaft Wien die Johann-Strauß-Gesamtausgabe in Angriff. Fritz Racek erarbeitete einen wissenschaftlich fundierten Notentext der Fledermaus, indem er die sechs vorhandenen Quellen verglich und im Editionsbericht Unterschiede transparent werden lässt. In der Mitte der 1990er-Jahre führte Norbert Rubey dieses Projekt, das nach dem Tod Raceks im Jahr 1975 eingeschlafen war, als „Doblingers Johann Strauß Gesamtausgabe in Zusammenarbeit mit dem Wiener Institut für Strauß-Forschung“ weiter. Ab 1995 erschien die Neue Johann Strauß Gesamtausgabe, deren Editionsleitung Michael Rot übernahm. In dieser Gesamtausgabe werden die verschiedenen Fassungen eines Werkes jeweils zugänglich gemacht.
Die Ouvertüre zur Fledermaus liegt gegenwärtig – einmal abgesehen von Ausgaben für Orgel, Salonorchester oder von Klavierauszügen – in Ausgaben der Neuen Johann Strauß Gesamtausgabe (Verlagsgruppe Hermann, Michael Rot), als Eulenburg-Studienpartitur (Swarowsky) und jetzt neu bei Breitkopf & Härtel vor. Allerdings ist diese „Neuausgabe“ eine Übernahme aus der ersten Johann-Strauß-Gesamtausgabe von Fritz Racek aus dem Jahr 1974. Dass der Verlag eine fast ein halbes Jahrhundert alte Ausgabe wiederverwertet, ist aufgrund der Popularität dieser Musik aus ökonomischen Gründen verständlich, und das Etikett „Urtext“ macht sich allemal gut.
Sicherlich ist es wichtig und sinnvoll, die Operetten von Johann Strauß wissenschaftlich fundiert zu erschließen. Aber dennoch stellt sich die Frage: Was hat die musikalische Praxis davon? Im Notentext einer Operette von Johann Strauß ist die Musik weniger genau festgehalten als bei sogenannter ernster Musik. Da bleibt mehr der Aufführungspraxis anheimgestellt, die in Wien schriftlos von den Lehrern auf die Schüler tradiert wurde. Wie man zum Beispiel beim Walzer die Tempoverzögerungen und -beschleunigungen gestaltet, steht nicht in den Noten, und einen „Urtext“ gibt es dafür auch nicht.
Fazit: Breitkopf & Härtels Ausgabe ist brauchbar, sehr übersichtlich gedruckt, wissenschaftlich gut begründet. Wer allerdings die neuesten Forschungsergebnisse sucht, sollte die Neue Johann Strauß Gesamtausgabe heranziehen.
Franzpeter Messmer