Mendelssohn Bartholdy, Felix

Die erste Walpurgisnacht op. 60

Partitur/Klavierauszug

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2010
erschienen in: das Orchester 03/2011 , Seite 62

Diese außerordentlich interessante Publikation verdient in meh-rerer Hinsicht höchste Anerkennung und (hoffentlich) eine allgemeine und breite Akzeptanz. Hier wird ein Werk Mendelssohns neu herausgegeben, das, wenigstens außerhalb des angelsächsischen Sprachbereichs, nicht so bekannt ist, wie es seiner besonderen Art und Qualität zukommt. John Michael Cooper hat es sorgfältig und in vorbildlicher Weise ediert, mit einem 14 Seiten langen kritischen Bericht versehen und durch reiche Literaturhinweise angereichert.
Außerdem geht er in einem zehn Seiten langen Vorwort allen wesentlichen Fragen nach, welche die Komposition betreffen. Er klärt die verschlungene Geschichte der Werkentstehung mit mehreren Revisionen durch Mendelssohn und erläutert kenntnisreich das Goethe’sche Gedicht einschließlich seines kulturellen und religionshistorischen Hintergrunds. Er interpretiert die engen Beziehungen zwischen der literarischen Vorlage und der musikalischen Realisierung. Und er unterstreicht die aufführungspraktischen Besonderheiten, die sich auf Mendelssohns verbale Eintragungen, Rollenzuweisungen und Metronomangaben beziehen und die laut Cooper genauer, als es üblich ist, beachtet werden sollten.
Die erste Walpurgisnacht für Soli, Chor und Orchester besteht aus einer Ouvertüre und neun nummerierten Teilen, die ineinander übergehen, sodass ein geschlossenes, dramatisch eindringliches Werk entsteht, das, wie Cooper nachweist, inhaltlich drei Ebenen andeutet, die sich auch kompositorisch voneinander unterscheiden: Die (geistig und räumlich) höchste Ebene bilden die Druidenpriester, die zusammen mit den Anhängern ihrer traditionellen Religion auf einem hohen Berg (gemeint ist der Brocken im Harz) den Beginn des Frühlings rituell begehen. Die mittlere Ebene bilden die sächsischen Krieger, welche die Aufgabe haben, diese heilige Feier, die von den christlichen Eroberern verboten wurde, zu schützen. Auf der untersten Ebene finden sich die christlichen Soldaten, die durch eine List von den sächsischen Kriegern verscheucht werden. Diese verkleiden sich als Hexen und Teufel, jagen den Eroberern heillose Schrecken ein und veranlassen sie zu überstürzter Flucht. Unüberhörbar kritisch spielt Goethe auf die gewaltsame Christianisierung in der Ära Karls des Großen an und vermittelt den Lesern seiner Zeit eine damals gängige Vorstellung von der Entstehung der Mythen um das Hexentreiben der Walpurgisnacht.
Mendelssohn hat diese inhaltlichen Facetten mit differenzierten, kraftvollen Ausdrucksmitteln musikalisch zur Darstellung gebracht. Und dass ein solches lebensvolles Werk nun in einer authentischen Ausgabe vorliegt, ist wärmstens zu begrüßen. Neben der Partitur ist auch der von Mendelssohn selbst erstellte Klavierauszug neu erschienen, auch er mit ausführlichen Erläuterungen im Vorwort. Und dass beides zu einem moderaten Preis herauskommt, sollte nicht unerwähnt bleiben.
Peter Schnaus