Christine Fischer

Die Dresdner Stradivari

Historischer Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Books on Demand, Norderstedt
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 65

Der Cellist Wilhelm Schlick macht es sich und seiner Umwelt nicht leicht: Aufbrausend ist er und stur, er eckt immer wieder an. Wilhelms Mutter, eine berühmte Geigerin, ließ ihren Sohn oft wochenlang allein, wenn sie mit ihrem Mann Conrad und seiner Schwester Caroline, die als Sängerin reüssierte, auf Tournee ging. Noch als Erwachsener leidet Wilhelm unter dieser vermeintlichen Zurücksetzung. Auch nach seiner Hochzeit mit der Kaufmannstochter Charlotte bleibt er unzufrieden, mit sich, der Welt und seinem „kränkelnden Cello“, das dringend eine Reparatur benötigt. Da sich jedoch niemand findet, der das Instrument seinen Wünschen gemäß instand setzen kann, beginnt er, sich selbst mit dem Instrumentenbau auseinanderzusetzen – und damit nimmt eine Passion ihren Anfang, die Wilhelm und seine Familie an den Rand des Abgrunds führt.
Die Dresdner Autorin Christine Fischer hat sich intensiv mit dem Musiker und Geigenbauer Wilhelm Schlick auseinandergesetzt, nicht zuletzt aus persönlichem Interesse – befindet sich doch die letzte Geige, die Schlick im Jahr 1870 baute, in ihrem Besitz. In ihrem Roman zeichnet sie Schlicks Lebensweg nach: seine Karriere bei der Dresdner Hofkapelle, sein Familienleben, seine späte zweite Liebe und vor allem seine Begeisterung für den Geigenbau, sein Ziel, Geigen zu erschaffen, die denen von Antonio Stradivari ebenbürtig sind. Bis dahin ist es freilich ein steiniger Weg: Das Geld, das Charlotte in die Ehe mitgebracht hat, reicht nicht lange, und allzu oft trifft Wilhelm fatale Entscheidungen. Als er eine neue Trocknungsmethode für Holz entwickelt, scheint sein Traum doch noch in Erfüllung zu gehen: Seine Geigen begeistern mit ihrem Klang, aber die Käufer sind misstrauisch und bleiben aus. Nach Jahren voller Enttäuschungen macht ihm ein unbekannter Gönner ein faszinierendes Angebot. Charlotte jedoch ist skeptisch – und Wilhelm muss eine Entscheidung treffen …
Es ist ein Roman, der sich tief in ein Musikerleben hineinversetzt und mit zahlreichen Details zum Instrumentenbau aufwartet. Ein Roman aber auch, der literarisch bestenfalls als Leichtgewicht bezeichnet werden kann, mit einer soliden, aber oft recht ungelenken Prosa, einer holprigen Dramaturgie und einigen unnötigen Längen, die zwar deutlich machen, wie eingehend die Autorin recherchiert hat, aber das Lesevergnügen doch erkennbar beeinträchtigen. Was bleibt, ist ein Buch, das zumindest für sich in Anspruch nehmen kann, den Dresdner Geigenbauer Wilhelm Schlick dem Vergessen entrissen zu haben. Und das damit, ungeachtet aller schriftstellerischen Mängel, immerhin einen Beitrag zur deutschen Musikgeschichte leistet.

Irene Binal