Maria Peters

Die Dirigentin

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Hoffmann und Campe/ Atlantik
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 63

Willy Wolters hat einen Traum: Sie will Dirigentin werden, ein Orchester leiten. Aber im New York des Jahres 1926 ist dies eine Männerdomäne, noch nie sah man eine Frau am Dirigentenpult und niemand nimmt Willys Berufswunsch ernst: nicht ihre strenge und verbitterte Mutter, nicht ihre Kollegen im Konzerthaus, wo sie abends als Platzanweiserin arbeitet, auch nicht der junge Konzertmanager Frank Thomsen, ein Mann aus gutem Haus mit besten Verbindungen in die Musikwelt, den Willy ausgerechnet auf der Herrentoilette des Konzerthauses kennenlernt – denn nur dort kann sie der Musik des Orchesters lauschen.
Als Willy sich bei einem Konzert ihres Idols Willem Mengelberg mit einem Klappstuhl in den Saal schleicht und in den Mittelgang setzt, wird ihr gekündigt, und dann erfährt sie auch noch, dass ihre Eltern sie adoptiert haben und sie eigentlich Antonia Brico heißt. Antonias Leben ist an einem Tiefpunkt, als ihre Mutter ihr geliebtes Klavier – das ihr Vater, ein Müllmann, auf der Straße gefunden hat – zerstört und sie aus dem Haus wirft. Aber Antonia gibt nicht auf: Um Dirigentin zu werden, will sie nach Europa gehen, auch wenn das bedeutet, dass sie sich von ihrer großen Liebe Frank trennen muss.
Die niederländische Autorin und Regisseurin Maria Peters hat das Leben von Antonia Brico (1902-1989) bereits in einem Film verarbeitet, bevor sie ihren Roman schrieb – einen temporeichen und einfühlsamen Roman über eine Frau, die ihr Leben ganz der Musik gewidmet hat. Für Brico ist Klang alles, ohne Musik kann sie nicht existieren und dieser Leidenschaft opfert sie sogar ihr privates Glück.
Gleichzeitig ist Peters’ Roman eine Erinnerung daran, wie fest die Konzertszene noch vor rund 100 Jahren in männlicher Hand war. Brico muss das Konservatorium verlassen, weil sie sich den Annäherungsversuchen ihres Lehrers Mark Goldsmith widersetzt. In Hamburg schlägt ihr der berühmte Dirigent Karl Muck zunächst die Tür vor der Nase zu, bevor er schließlich ihr Potenzial und ihren unbeugsamen Willen erkennt und sie als Schülerin annimmt. In Berlin kann Brico endlich Orchesterdirigieren studieren – aber schon steht sie vor dem nächsten Problem: Werden die Musiker eine Frau am Dirigentenpult akzeptieren? „Warum“, fragt sich Antonia verzweifelt, „ist es so außergewöhnlich, wenn eine Frau am Pult steht? Weil es so gut wie nie passiert? Wichtig ist doch nur, wie gut sie dirigiert! Das ist die Messlatte, nicht ihre Weiblichkeit.“
In einer flotten und eingängigen Prosa erzählt Maria Peters von einer rebellischen Pionierin in der Musikszene, die die männliche Vorherrschaft in musikalischen Fragen durchbrechen will und schließlich mit der Gründung eines rein weiblichen Orchesters die Musikwelt endgültig verändert. Antonia Brico hat sich mit Mut und Durchsetzungsvermögen ihren Traum erfüllt und gleichzeitig vielen Frauen den Weg zu einer Karriere in der Konzertbranche geebnet – und Maria Peters’ Roman setzt dieser beeindruckenden Persönlichkeit ein würdiges Denkmal.
Irene Binal