Robert Schumann/Christian Jost
Dichterliebe
Stella Doufexis, Daniel Heide, Peter Lodahl, Horenstein Ensemble
„Wenn das Herz im Leibe zersprungen, dann gehen die Lieder nach Haus.“ Dichterworte von Heinrich Heine (warum auf Englisch?) zieren das Cover dieser hochinteressanten Doppel-CD und sind als persönliches Credo des Komponisten Christian Jost zu verstehen, ein Vermächtnis für seine vor zwei Jahren verstorbene Ehefrau Stella Doufexis. Auf CD 1 befindet sich mit ihr und Daniel Heide eine Einspielung der originalen Schumann’schen Dichterliebe sowie des Liederkreises op. 39 und besticht durch zurückgenommene Emotionalität im Gesangsstil und sehr sensible Klavierbegleitung.
Wer nun bei der „Neukomposition“ von Christian Jost einen Bezug zur avantgardistischen Ästhetik von Hans Zenders komponierter Interpretation von Schuberts Winterreise erwartet, wird ziemlich überrascht: Josts Bearbeitung erweist sich als traditioneller in der Wahl der musikalischen Mittel, da- für aber zurückhaltender, feinsinniger und differenzierter, weniger intellektuell und abstrakt im Konstrukt, dafür umso emotionaler, aber nicht weniger abwechslungsreich und rechtfertigt die zeitliche Ausdehnung der Dichterliebe auf gut eine Stunde Spieldauer durchaus.
Die Lieder gehen konsequent ineinander über, die Übergänge sind meist weich gestaltet. Äußerst dicht in der Textur mit vielen Details arrangiert, an der Grenze zur Überinstrumentation tritt das Ensemble oft in den Vordergrund. Es gibt längere Vorspiele oder ausgedehnte Nachspiele, manchmal beides. Die Textur der Singstimme ist meistens original, Schlusszeilen werden gern mehrfach verwendet oder verändert. Die hinzukomponierten Abschnitte benutzen das musikalische Material des jeweiligen Liedes, doch entsteht manchmal durch Verwendung von motivischen Pattern ein flächiger Eindruck. Bei „Ich grolle nicht“ erklingt der erste Teil zweimal unterschiedlich arrangiert. Nur hier ist eine Berührung mit der Jazzästhetik zu erkennen. Das berühmte Klaviernachspiel am Ende des Zyklus wird zwischen No. 10 und 11 eingeflochten, das komponierte Ende wirkt statisch verhalten.
Peter Lodahl gestaltet den Zyklus solide und deklamatorisch schlicht, sein sängerischer Hauptschwerpunkt scheint allerdings mehr bei der Oper zu liegen. Christian Jost dirigiert das äußerst präzise und in der Balance sehr ausgewogen klingende Horenstein Ensemble (die meisten Musiker kommen aus dem Berliner Konzerthausorchester): mit dem Streichquartett Sophia Jaffé und Jana Krämer-Forster, Matthias Benker und Andreas Timm sowie Yubeen Kim (Flöte), Ralf Forster (Klarinette) und Ronith Mues (Harfe). Jan Westermann (Vibra- und Marimbafon) sowie wiederum Daniel Heide (Klavier) ergänzen die ohnehin schon ungewöhnliche Besetzung. Gerade die Verwendung der tiefen Basstöne der Marimba und Bogeneffekte auf dem Vibrafon machen den besonderen Reiz der Klangästhetik aus.
Es gab und gibt Tourneen mit der Dichterliebe in Deutschland, Dänemark und Südostasien. Bleibt zu wünschen, dass diese Neukomposition ähnlich erfolgreich wird wie die Zender’sche Winterreise, die CD-Einspielung ist dazu ein großer Schritt, dieses spannende Werk von Christian Jost noch bekannter zu machen.
Kay Westermann