Poulenc, Francis
Dialogues des Carmélites
Nur wenige Opern, die nach 1945 entstanden sind, haben es zumindest in das erweiterte Repertoire der Opernhäuser geschafft. Neben Strawinskys Rakes Progress oder einigen Opern von Britten gehört Francis Poulencs Les dialogues des Carmélites dazu. Poulencs einzige große Oper wurde 1957 erfolgreich in Mailand uraufgeführt, im gleichen Jahr erfolgte auch die deutsche Erstaufführung in Köln. Poulencs Oper geht auf die Hinrichtung von 16 Karmeliterinnen 1794 während der Französischen Revolution zurück. Nach der Novelle Gertrud Le Forts Die Letzte am Schafott schuf Georges Bernanos eine auf der Novelle basierende Bühnenfassung, die Poulenc als Grundlage seines Librettos diente. Trotz der historischen Verortung in den brutalen Wirren der französischen Revolution ist Poulencs Oper über das Sterben der Karmeliterinnen kein historisierendes Stück. Der seit den 1930er Jahren dem Katholizismus zuneigende Komponist hat mit seinem Bühnenwerk nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Kontrapunkt zu dem Grauen und der Entmenschlichung des Faschismus gesetzt, dem er, ohne ideologische Scheuklappen zu zeigen, den Glauben entgegensetzt. Poulencs Oper, die in den Gesangspartien Parallelen zu Debussy zeigt, von der Dramaturgie eher von Mussorgsky beeinflusst ist, verlässt nie die erweiterte Tonalität. Trotz großen Orchesterapparats werden die Stimmen nicht zugedeckt.
Der Livemitschnitt aus der Hamburger Staatsoper präsentiert das Werk in einer sehr intensiven, auf oberflächliche Aktualisierungen verzichtenden Sicht von Nikolaus Lehnhoff, dessen streng stilisierte Personenregie in der eher handlungsarmen, stark dialoggeprägten Oper überzeugt. Das spartanische Bühnenbild von Raimund Bauer ist weitgehend leer, von hochaufschießenden, bedrohlichen Mauern geprägt, die am Ende auch zum Hinrichtungsort der Glaubensschwestern werden. Weder gibt die Inszenierung einem (möglichen) Revolutionsspektakel Raum noch bietet es Gelegenheit zum süßlichen Glaubenskitsch.
Unter der Stabführung ihrer Generalmusikdirektorin Simone Young bieten die Hamburger Philharmoniker eine trotz kleinerer Ungenauigkeiten sehr ansprechende Leistung, wobei die Farbigkeit und das dramatische Potenzial der Partitur genau austariert erscheint. Auf hohem Niveau präsentiert sich das Ensemble, wobei die Frauenstimmen im Vordergrund stehen, was die Leistung beispielsweise von Wolfgang Schöne als Marquis de la Foce nicht schmälern soll. Die lyrische, darstellerisch sehr wandelbare Alexia Voulgaridou ist seine Tocher Blanche, die aus Lebens- und Todesangst in das Karmeliterkloster eintritt. Ihr Wandlungsprozess bis hin zum freiwilligen Martyrium auf dem Schafott sie ist die Letzte, die den zum Tode verurteilten Nonnen freiwillig in den Tod folgt wird suggestiv nachgezeichnet. Eindringlich auch die Alte Priorin der Kathryn Harries. Ebenso überzeugend gestaltet Anne Schwanewilms die Rolle der neuen Priorin, Gabriele Schnaut bewährt sich als Mère Marie. Da auch die kleineren Rollen ebenso wie der aus dem Off singende Chor sich in bester Verfassung präsentieren, ist die Aufzeichnung dieser Poulenc-Oper aus dem Jahr 2008, die ihre Premiere schon 2003 in Hamburg hatte, eine überzeugende.
Walter Schneckenburger