Kammermusik von Violeta Dinescu, Myriam Marbe und Roberto Reale

Dialog

Trio Contraste

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Gutingi 2016
erschienen in: das Orchester 04/2017 , Seite 68

Wie in allen autokratischen Staa­ten war Musik, gerade neu komponierte, auch im sozialistischen Rumänien von Gheorghe Gheorghiu-Dej und Nicolae Ceausescu eine politische Angelegenheit. Wer nicht im staatlichen Komponistenverband organisiert war, hatte kaum eine Chance auf weitere Verbreitung seiner Kompositionen. Inhaltlich waren natürlich auch Vorgaben im Hinblick auf Ästhetik, Schreibart und Sujet bestimmend. „Volksnähe“ war gefragt.
Dennoch gab es bedeutende Komponisten, die ganz am Puls der europäischen Zeit komponierten – gerade Myriam Marbe, 1931 in Bukarest geboren und dort 1997 verstorben. Just die Zeit spielt in ihren nachdenklichen, klangsinnlichen Werken auch eine entscheidende Rolle. Die Tradition rumänischer Volksmusik, Orthodoxie und Mythologie ist für sie ebenfalls von Bedeutung. Wer sich mit dem Thema näher beschäftigen möchte, dem sei das Buch Myriam Marbe – Neue Musik in Rumänien von Detlef Gojowy empfohlen.
Auf dieser CD mit dem großartigen Trio Contraste aus Temeswar (Ion Bogdan Stefanescu, Flöte; Sorin Petrescu, Klavier und Doru Roman, Percussions) treten Kompositionen von Marbe in Dialog mit denen ihrer rumänischen Schülerin Violeta Dinescu, die seit 1982 in Deutschland lebt und Professorin für Komposition in Oldenburg ist. Der Dialog wird zum Trialog durch Werke von Roberto Reale, der zwar in Hannover geboren wurde, als Schüler von Dinescu und durch die Beschäftigung mit der Oper Oedipe von George Enescu (dem rumänischen Nationalkomponisten) jedoch deutlich „rumänische“ Einflüsse in sich trägt.
Allen aufgenommenen Werken eignet eine gewisse Transzendenz, ein meditativer Gestus, vielleicht auch durch die Besetzung mit Flöte, Schlagzeug und Klavier, deren klangliche Möglichkeiten nach allen Regeln der Kunst ausgelotet werden – inklusive elektronischer Verfremdung. Die Flöte verweist natürlich auf die Hirtenwelt, die Teil des kollektiven rumänischen Seelenlebens ist. Von einer pastoralen Idylle kann bei dieser Musik freilich keine Rede sein: Angst und Schatten, der Eindruck mystischer Erscheinungen, einer fremden Natur und auch der Gewalt überwiegen. Repetierte Percussionschläge erinnern an das Holzbrett Toaca, das in rumänischen Klöstern statt Glocken zum Gebet ruft.
Violeta Dinescus Klage um die verstorbene Freundin Britt Gun ist hintersinnig, weil das Tonmaterial auch auf eine Litanei in der Jahrhunderte alten rumänischen Musiksammlung Codex Caioni Bezug nimmt. Zehn Skizzen widmet sie dem Bild Schlachtfeld von Marathon (1849) des Landschaftsmalers Anton J. Rottmann. Das klingende Psychogramm Zeitglocken ist zur Erinnerung an Myriam Marbe geschrieben, von der die CD acht Haikus enthält, die scharf wie Kristalle funkeln. Ganz anders die dadaistische Annäherung Dialogi an Christian Morgenstern.
Roberto Reale ist mit den exzellent und dramaturgisch klug durchgearbeiteten Stücken Pensée en creux und Passaggio vertreten. Wer diese CD wirklich schätzen möchte, sollte sie so oft wie möglich hören.
Johannes Killyen