Werke von Wieniawski, Sarasate, Saint-Saëns und anderen

Di tanti palpiti

Lea Birringer (Violine), Esther Birringer (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Rubicon Classics
erschienen in: das Orchester 02/2020 , Seite 70

Ihr „Anliegen“ gelingt meisterlich: ihre „absoluten Lieblinge der virtuosen Violinliteratur einzuspielen“. Vielleicht verfügt sie sogar auch über die „aberwitzige technische Finesse“, die sie bei Paganini und Wieniawski bewunderte, auf jeden Fall aber über allerhöchstes technisches Niveau. Begeisternd und mitreißend sind jedoch insbesondere dieses überbordende Temperament und diese unglaubliche Spielfreude.
Bescheiden und liebevoll beschreibt Lea Birringer die Geigenstückchen und ihre „Autoren“ im Booklet; kein Wort über ihre vielseitige musikalische Tätigkeit, ihren Sieg beim Brahms-Wettbewerb, ihr Engagement für „Rhapsody in School“. Mit dieser Aufnahme ergänzt die 1986 in Quierschied geborene Geigerin ihre teilweise ausgefallene Sammlung. (Man hofft auf die großen Konzerte.)
Waxmans Carmen-Fantasie, ursprünglich für Sologeige und Orchester geschrieben, ist eine durchaus reizvolle Alternative zu der von Sarasate. Man kennt Franz Waxman (1906-1967) eher als Filmmusikkomponisten – zum Beispiel für die Filme Lindbergh, Das Fenster zum Hof oder die Oscar-nominierte Geschichte einer Nonne. Waxmans Talent für musikalische Zitate (natürlich Bizet) zeigt sich auch in dieser in dem Film Humoreske verwendeten Fantasie, die Birringer mit Gespür für die verschiedenen Stilrichtungen pointiert und lebhaft darbietet.
Auf Einzelheiten muss man bei dieser wunderbaren Sammlung halsbrecherischer, intimer, so ganz und gar geigerischer Kleinode gar nicht eingehen: auf die präzisen Pizzicati, auf die leuchtenden Flageoletts, auf die perlenden Läufe und die wunderbare Agogik in Gypsy Airs von Sarasate, auf den vollen Klang bei Schostakowitschs Romanze, auf die reizvollen schnellen Wechsel des Charakters bei Castelnuovos Figaro-Rhapsodie, auf den verspielten Ausdruck bei Paganini, auf die vielen rasanten Anfänge, bei denen man fast die Sorge hegt, dass der Solistin die „Puste“ ausgeht – keineswegs! Fulminant werden auch die Schlüsse gestaltet. Lea Birringer hat kein bisschen Angst vor dieser Fülle horrender Anforderungen. Ein wenig russische Geigenkultur hört man der Ozim-Schülerin eben an. Sie spielt übrigens eine „junge“ Hudelmayer-Geige.
Auch der beste Geiger ist gerade bei solchen Werken ein wenig verloren ohne einen verlässlichen, sensiblen, spürenden Pianisten, der auffängt und voranbringt, der bremst und anfeuert, der ähnlich versteht und empfindet. Leas drei Jahre ältere Schwester Esther Birringer, ebenfalls mehrfache Preisträgerin, tritt mit ihr auf und spielt seit einigen Jahren mit ihr ein – eine bemerkenswerte, hörenswerte Einheit auch hier.
„Tanti palpiti“, viele Herzschläge – hier schlagen zwei Herzen gemeinsam und das desr Rezipientin gleich mit. „Viel Freude beim Hören“ wünscht Lea Birringer – ja, die hat man!
Carola Keßler