Wißmann, Friederike

Deutsche Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berlin Verlag, Berlin 2015
erschienen in: das Orchester 02/2016 , Seite 64

Er habe mit der Zwölfton-Methode eine Erfindung gemacht, „die der deutschen Musik die Vorherrschaft für die nächsten hundert Jahre sichert“, verkündete Arnold Schönberg 1921 stolz und mit einem überraschend nationalen Tonfall. Die Nazis sahen das bald ganz anders: Ihnen galt Schönbergs Musik gleichermaßen weniger der jüdischen Abstammung ihres Autors wie wegen ihrer avantgardistischen Haltung als so undeutsch wie nur vorstellbar. Paradox dabei: Beide beriefen sich, wie berechtigt auch immer, auf die gleiche Tradition.
Wie steht es denn nun mit dem Begriff der „deutschen Musik“? Ihn zu erörtern ist das Anliegen der vorliegenden Monografie, in der die Musikwissenschaftlerin Friederike Wißmann sich auf historische und begriffliche Spurensuche begibt. Dass von „deutscher Musik“ zu sprechen in vielerlei Hinsicht problematisch ist, wird bereits in der Einleitung des Bandes festgestellt, zumal das „Deutsche“ weniger in einem festen politischen als einem kulturellen Raum zu suchen und ohne Einflüsse von außen nicht denkbar ist. Johann Joachim Quantz ging ja einst so weit zu erklären, der „deutsche Geschmack“ sei nichts anderes als der „vermischte Geschmack“ aus italienischen und französischen Anregungen.
Eine Wesensbestimmung, eine klare Definition „deutscher Musik“ ist offensichtlich illusionär. So geht die Autorin umgekehrt vor: Die einzelnen Kapitel ihres Buchs werfen, ausgehend von Eigenschafts-Stichwörtern wie „Himmlisch“, „Diskursiv“, „Gesellig“, „Regional“, „Ausgewandert“, „Komisch“ oder „Hymnisch“, einzelne Schlaglichter auf den Untersuchungsgegenstand und beleuchten Spannungsfelder, wobei es dem Leser anheimgestellt ist, sich aus den bunten Mosaiksteinchen, in die wiederum die Kapitel weiter zerfallen, ein eigenes Bild zusammenzusetzen.
Gezielt bunt ist in diesem Buch der Wechsel zwischen den Epochen wie auch der zwischen Hochkultur und Populärem. So springt die Darstellung etwa unter dem Etikett „Käuflich“ von der Hofmusikkultur zur Castingshow, und unter dem Titel „Öffentlich“ reicht der Bogen von Beethovens „Akademien“ über Fanny Mendelssohns musikalischen Salon bis zum Open-Air-Festival in Wacken. Den roten Faden muss sich, wie schon gesagt, der Leser selbst konstruieren, wobei die Autorin es ihm nicht immer leicht macht. Ihre Neigung zur Ausbreitung von Detailwissen führt oft weit ab vom Untersuchungsziel. Nicht immer leuchtet auch die Auswahl der Inhalte ein: Warum Robert Schumanns Tonbuchstaben-Chiffren ins Kapitel „Widerständig“ gehören, erschließt sich nicht. Dazu kommen inhaltliche Unschärfen, wobei ein besonders peinlicher Schnitzer die Auskunft ist, der junge Robert Schumann habe Jean Pauls Grab in Paris besucht. Offenbar verwechselt die Autorin den fränkischen Dichter mit dem französischen Philosophen Jean Paul Sartre.
Gerhard Dietel