Werke von Ludwig van Beethoven, Modest Mussorgski, Franz Schubert und anderen
Detmolder Archivschätze
Zum 75-jährigen Bestehen der Hochschule für Musik Detmold. Historische Mitschnitte aus dem Fundus des Erich-Thienhaus-Instituts, Hans Richter-Haaser, Tibor Varga, André Navarra, Helmut Winschermann u. a.
Ihr 75-jähriges Bestehen konnte die Hochschule für Musik Detmold, die 1946 zunächst als Nordwestdeutsche Musikakademie eröffnet worden war, im Jahr 2021 feiern. Das Jubiläum gab den Impuls, musikalische Archivschätze zu heben, das heißt, Mitschnitte öffentlicher Konzerte zu sichten, die dort einst in der Aula bzw. Neuen Aula stattfanden, und eine Auswahl daraus auf CDs zu veröffentlichen. Repräsentiert ist in dieser klanglichen Dokumentation der Zeitraum von 1966 bis 1981 und zu den Interpreten zählen namhafte Künstler, die zugleich in Detmold unterrichteten, darunter als Prominenteste der Pianist Hans Richter-Haaser, der Geiger Tibor Varga, der Cellist André Navarra und der Oboist Helmut Winschermann.
Dass in Detmold ein reicher Fundus an Tondokumenten vorhanden war, ist nicht zuletzt Erich Thienhaus zu verdanken, der dort noch im Gründungsjahr Dozent für Akustik und Instrumentenkunde wurde und drei Jahre später das erste deutsche Tonmeister-Institut gründete. Generationen von Studierenden oblag es, im Rahmen ihrer Ausbildung die Konzerte der Hochschule mitzuschneiden, sodass für die vorliegende Veröffentlichung eher zu viel als zu wenig Archiv-Material vorlag.
Die restaurierten Fassungen hinterlassen beim Hören erwartungsgemäß den Eindruck der historischen Aufnahme, und das nicht nur technisch, sondern vor allem ästhetisch. Wenn Helmut Winschermann in Bachs rekonstruiertem Konzert für Oboe d’amore BWV 1055R lieber weite sangliche Bögen spannte, als kleinteilig zu phrasieren, entspricht das sicher nicht dem heute vorherrschenden Zeitgeschmack. Besonders deutlich wird der Live-Charakter beim Mitschnitt eines Klavierabends des Pianisten Hans Richter-Haaser, dem in der Emphase des geradezu hektisch wirkenden Musizierens ungewöhnlich viele falsche Töne unterlaufen. Da versöhnt auf der nächsten CD seine Interpretation von Beethovens viertem Klavierkonzert in einer weniger lyrischen als ungewohnt heldischen Darstellung des Kopfsatzes.
Wenn die vorliegenden Tondokumente als repräsentativ gelten können, dann waren die Detmolder Hochschullehrer über die Traditionspflege hinaus aufgeschlossen für die Musik des 20. Jahrhunderts, wie eine intensitätsgeladene Einspielung von Alban Bergs Violinkonzert mit Tibor Varga als Solisten oder eine Aufnahme von Bela Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug sowie Edmundo Lasheras’ Vortrag der Klavierstücke op. 33 von Arnold Schönberg beweist.
Eine außerordentliche Repertoire-Rarität enthält die CD-Box mit dem Klavierkonzert op. 27 von Johannes Driessler in der Interpretation des Pianisten Klaus Schilde und des Orchesters der Musikakademie unter Leitung des damaligen Rektors Martin Stephani: Musik, halb im neusachlichen Tonfall, halb noch von spätromantischem Geist getragen.
Gerhard Dietel