Christoph Schulte im Walde

Detmold: Gardine auf – Gardine zu

„Madama Butterfly“ am Landestheater Detmold zwischen dekorativen Bildern und musikalischen Höhepunkten

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 52

Per-Otto Johansson ist seit Beginn der Spielzeit 2022/23 Generalmusikdirektor am Landestheater Detmold und folgt damit Lutz Rademacher, der zehn Jahre lang das Symphonische Orchester des Hauses in Ostwestfalen mit großem Erfolg geleitet hat. Johansson stellte sich nun zur Spielzeiteröffnung mit Giacomo Puccinis Madama Butterfly vor – ein solider, ein guter Einstieg mit Einschränkungen, die aber nicht die musikalische Seite betreffen, sondern die Arbeit des Regisseurs Zoran Todorovich. Als jugendlicher Heldentenor steht Todorovich regelmäßig auf etlichen Opernbühnen dieser Welt, seine beachtliche Karriere begann unter anderem in Detmold, wo er nun also auch Madama Butterfly inszeniert!
Jule Dohrn-van Rossum stellt ihm ein japanisches Shoji-Haus auf die Drehbühne, das aber nicht mit papierenen Wänden ausgestattet ist, sondern mit weißen Vorhängen. Dünn genug, um das Geschehen hinter ihnen erahnen zu lassen, aber auch so undurchsichtig, dass „Wesentliches“ den Augen des Publikums entzogen wird. So wie beim tragischen Ende der Cio-Cio-San, die ihr Leben diskret und quasi im Verborgenen aushaucht. Kein sichtbarer Tropfen Blut befleckt den edlen Seidenkimono der Titelheldin und stört den Mythos der durch „sauberen“, formvollendeten Seppuku aus dem Leben Scheidenden. So endet die Inszenierung genauso, wie sie begonnen hat: mit dekorativen Bildern.
Die wichtigste Funktion der Vorhänge in dieser Butterfly ist es, Bewegung in die Szenerie zu bringen. Und so werden die Gardinen unablässig auf- und zugezogen. Mal mit Bedeutung und mal völlig sinnfrei. Ansonsten kommt Todorovichs Inszenierung eher statuarisch daher. Er gibt den Personen viel Freiraum, was der individuellen Gestaltung des Gesangs zugute kommt. Die Arbeit an den unterschiedlichen Figurenkonstellationen lässt Todorovich weitgehend außer acht. Er scheint voll auf die Wirkung der Musik zu vertrauen, nicht auf eine durchgearbeitete Szenerie, auf spannungsvoll dargestellte Beziehungen, auf Personenführung.
Auch der Chor bleibt eher eine Randnotiz. Dabei leisten die Damen und Herren des Chors und Extrachors unter Francesco Damiani musikalisch Erhebliches: Präzise singend hauchen sie gerade der ansonsten eher drögen Hochzeitsfeier von Cio-Cio-San und Pinkerton so ein wenig pulsierendes Leben ein. Die kleineren Rollen besetzt das Landestheater vortrefflich – durch die Bank machen alle ihre Sache sehr gut.
Nando Zickgraf zeichnet den Goro als permanent quäkenden Störenfried. Das gelingt! Dieser Typ ist in höchstem Maße einfach nur nervig. Dorothee Bienerts Suzuki glänzt mit ganz warmen Tönen, verbindet ihr Mitleid mit Cio-Cio-San mit einer großen Portion Wehmut. Souverän Andreas Jören als Sharpless. Keine Frage: Diese Rolle liegt ihm einfach. Und so kann er den Zwiespalt vermitteln, der Sharpless umtreibt. Als einziger Amerikaner hat er eine Ahnung davon, welche Werte in der japanischen Lebenswelt eine Rolle spielen, und fühlt tiefes Mitleid. Andererseits ist er eben US-Amerikaner und durchdrungen vom Gedanken an die Überlegenheit seines Volkes. So schlägt er sich letztlich auf die Seite Pinkertons. Jören beglaubigt diesen Spagat mit jeder Faser seiner Stimme.
Hoppla, jetzt komme ich: Ji-Woon Kims Pinkerton strahlt in den Forte-Passagen unwiderstehliche Virilität aus. Ein Macho, wie er im Buche steht. Dem muss die zarte Madama Butterfly einfach erliegen. Doch noch fehlen Kim die zarten Seiten des Verführers, die Zwischentöne, in denen sich die so vielfältigen Gefühlsregungen stimmlich manifestieren. Das kann und wird sich sicher noch entwickeln.
Megan Marie Hart glänzt als Butterfly mit perfekten hohen Lagen, die sie nuancenreich zu gestalten weiß. Ein Pfund, mit dem sie zu Recht wuchern kann. Muss sie jedoch in die tiefere Lage wechseln, werden ihre Ausdrucksmöglichkeiten beschränkter, ihre Stimme bekommt einen etwas groben Charakter. Dennoch kann sie die Seelenqualen der Butterfly glaubhaft ins Pub­likum tragen.
Das Symphonische Orchester Detmold wird mit seinem neuen Generalmusikdirektor Per-Otto Johansson ganz sicher erst noch intensiv zusammenwachsen. Das geht nicht von heute auf morgen. Doch gibt es brilliant-rauschhafte Momente gerade in den von Puccini komponierten Momenten großer Gefühle. Ein leuchtendes Beispiel: das große Duett von Pinkerton und Butterfly zum Ende des ersten Akts „Oh! quanti occhi fisi“ – das berührt ganz unmittelbar! Gleichwohl herrschte der Eindruck, Johansson könne den Orchesterklang durchaus noch mehr „aufdrehen“. Das Detmolder Haus, auch wenn es nicht riesengroß ist, verträgt das.
Das Premierenpublikum goutiert diese Inszenierung. Die kann man ohne großes Nachdenken reuelos konsumieren wie Gemüsesticks mit Kräuterquark – nur ohne Salz, Knoblauch und Sahne.