Johannes Killyen
Dessau: Händel in Dessau
Händels Julius Cäsar in Ägypten als Kooperation des Anhaltischen Theaters und der Leipziger Musikhochschule
Anfang Juni erlebte Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare in Egitto ihre Premiere am Anhaltischen Theater in Dessau. Soweit die nüchternen Fakten. Eine Händel-Oper zur Festspielzeit – was könnte normaler sein? Der Ort und die Umstände legen freilich eine andere Lesart nahe. Denn Bühnenwerke des barocken Großmeisters sind im einstigen „Bayreuth des Nordens“ ungefähr so häufig zu erleben wie Schnee in der Sahara. Das hat seine Gründe.
Als Julius Cäsar 1981 letztmalig in Dessau aufgeführt wurde, herrschte eine andere musikalische Zeitrechnung. Das historisch informierte Musizieren mit Bezugnahme auf authentische Quellen steckte gerade in den Kinderschuhen und fasste nur langsam Fuß. Die anfängliche Skepsis gegenüber der Originalklangbewegung schwand bald – bis sich landauf, landab kaum noch jemand traute, Bach, Händel oder Telemann auf modernen Instrumenten zu spielen. Diese Phase ist wieder vorbei und einer Pluralität der Auffassungen gewichen, die es übrigens auch zu Händels Zeiten gab. Gewisse Standards haben sich jedoch zu Recht gehalten und gelten gerade in der Barockregion Mitteldeutschland als gesetzt.
So war es also überraschend, in Zusammenarbeit mit den Halleschen Händelfestspielen eine Händel-Oper in Dessau zu erleben, wo am Anhaltischen Theater das klassisch-romantische und moderne Repertoire im Mittelpunkt steht. Und wo mit der Anhaltischen Philharmonie ein wunderbares Orchester Dienst tut, das indes wenig Erfahrung mit der barocken Materie hat. Das Wagnis war ein mehrfaches, denn auf der Bühne standen ausschließlich junge Sängerinnen und Sänger der Hochschule für Musik und Theater Leipzig – die mit Händels koloraturdurchwirkten Arien höchste Anforderungen zu meistern hatten. Schließlich musste die Inszenierung von Matthias Oldag von der Musikhochschule auf die riesige Dessauer Bühne verpflanzt werden. Leicht hätte diese Expedition Schiffbruch erleiden können. Im Ergebnis stand jedoch ein recht ansprechender und viel beklatschter Opernabend bei ordentlicher Besucherzahl, der gleichwohl seine Schwächen hatte.
Händels Giulio Cesare (es wurde auch in Dessau italienisch gesungen) erlebte 1724 bei höchstem Erfolg seine Uraufführung. Idealtypisch verflicht der „Caro sassone“ mit seinem Textdichter Francesco Haym darin politische und persönliche Konflikte und stellt die berühmteste Affäre der Geschichte in den Mittelpunkt: Cäsar lernt Kleopatra kennen und lieben und verhilft ihr gegen den Widerstand ihres Bruders Tolomeo zum Thron von Ägypten. Ein Nebenstrang ist der Konflikt mit den Hinterbliebenen des römischen Rivalen Pompeo.
Regisseur Matthias Oldag verlegt den Konflikt in den Nahen Osten der Gegenwart und erzählt eine recht schnörkellose Geschichte zwischen Konferenzsaal, Schlafzimmer und Schlachtfeld. Die Bühnenelemente sind funktional, die Kostüme (Barbara Blaschke) zeitgemäß. Oldags Personenführung ist indes nicht immer glücklich, da gibt es zu viel redundante Gestik, es wird viel mit Messern gefuchtelt, Requisiten werden im Dutzend umgeworfen. Dass der Chor (Einstudierung: Jens Petereit) als radikalisierte Volksmenge mit Buhrufen aus dem Zuschauerraum in eine der schönsten Cäsar-Arien (makellos das Solohorn von Paul Goodman) hineinplatzt, ist mindestens gewöhnungsbedürftig.
Die Anhaltische Philharmonie war unter der Leitung von Generalmusikdirektor Markus Frank eine verlässliche Partnerin für das junge Personal; die Abstimmung zwischen Bühne und Orchestergraben klappte bestens. Es gab innige Momenten in den langsamen Arien, doch vor allem den schnellen Nummern fehlten Zugkraft, Transparenz und Spritzigkeit. Da war zu wenig barocker Swing, zu wenig Bassfundament. Die Messlatte liegt hoch in Hörweite zu den mitteldeutschen Barockfestivals.
Getragen wird der Abend allem voran von wunderbar engagierten jungen Sängerinnen und Sängern, die trotz überschaubarer Erfahrung eine große Leistung abliefern – und technisch ohne Einschränkung überzeugen. Im einen oder anderen Fall füllten die Stimmen (noch) nicht ganz die große Bühne. Das galt für den jugendfrischen Cäsar von Lena Spohn, den hitzköpfigen Sesto von Sarah Kollé und den Tolomeo, den Etienne Walch im Stil eines James-Bond-Bösewichtes gab. Stimmlich präsenter agierten in Baritonpartien Tobias Nyström (Curio) und Ricardo Llamas Marquez (Achilla) sowie die Altistin Susanne Boccato (Cornelia). In der eigentlichen Hauptrolle der Oper jedoch glänzte mit unbändiger Energie und größter stimmlicher wie dramatischer Ausdruckskraft Yeeun Lee als Cleopatra. Von ihr wird man noch viel hören.
Die neue Spielzeit 2018/19 setzt an Anhaltischen Theater gleich wieder mit Barockmusik an, wenngleich unter ganz anderen Vorzeichen: Am 21. September hat die Semi-Opera King Arthur von John Dryden und Henry Purcell Premiere, auch als Signal an die Geldgeber in Stadt und Land: Das Stück kann nur realisiert werden, wenn Orchester und Chor, Schauspiel und Ballett verfügbar sind. Eine Spartenstreichung will man am zuletzt schändlich geschröpften Dessauer Theater mit allen Mitteln verhindern. Weitere Opernhighlights werden Webers Freischütz, Puccinis Manon Lescaut und Dvořáks Katja und der Teufel sein. Die neue Spielzeit beginnt am 1. September mit einem Eröffnungskonzert, das musikalische Ausschnitte der neuen Produktionen zu Gehör bringen wird.
> www.anhaltisches-theater.de