Werke von Eduard Künneke und Hanns Eisler
Der wilde Sound der 20er – 1929
omasz Tomaszewski (Violine), Ruth Volpert (Alt), Christopher Dollins (Bariton), Clemens Nicol (Sprecher), Madrigalchor der Hochschule für Musik und Theater München, Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ernst Theis
Wegen der technischen Beschränktheiten des frühen Rundfunks waren die Verantwortlichen der Meinung, dass das neue Medium eine besondere Art von Musik verlange. Regelmäßig wurden daher Radio-Kompositionen in Auftrag gegeben, die den speziellen „Erfordernissen des Rundfunks“ entsprechen sollten. Man legte dabei Wert auf schlanke Klänge, deutliche Kontur, klare Rhythmik, kurze Sätze und mittlere Frequenzen.
Direkt für die Berliner Funkstunde entstand 1929 Eduard Künnekes Tänzerische Suite. Der „Operettenkönig“ Künneke (Der Vetter aus Dingsda) hatte zuvor einige Zeit in den USA verbracht und dort Geschmack am modischen Jazz gefunden. In seiner fünfsätzigen Radio-Suite verband er das Orchester der Funkstunde mit einer „echten“ Jazzband, dem Ensemble von Lajos Béla – eine unerhörte Neuerung in der deutschen Radioproduktion. Die beiden Formationen „spielen“ hier quasi miteinander, ohne wirklich zu verschmelzen, denn Klangballungen galten als ungeeignet fürs Radio. Immer wieder kontrastiert der gefühlige Operettenton der Streicher mit den neuen Tanzrhythmen wie Foxtrott, Tango und Boston. Typisches Jazzkolorit liefern Schlagzeug, Saxofone, Banjo, gestopfte Trompeten oder glissandierende Posaunen. Künnekes flottes, kurzweiliges Concerto grosso ist hier kompakt und klar musiziert – mit einem überzeugenden 1920er-Jahre-Flair, sachlich und temporeich.
Ein etwas anderes Kaliber war Hanns Eisler. Der Schönberg-Schüler, der sich für die Arbeiterbewegung stark machte, schrieb seine Rundfunkkantate Tempo der Zeit im Auftrag der IGNM fürs Donaueschinger Festival. Sein Werk thematisiert nicht nur das beschleunigte Tempo der 1920er Jahre, sondern vor allem die Frage: Kann sich der „kleine Mann“ (der Arbeiter) diese Neuerungen denn leisten? „Das Tempo der Zeit kostet Geld“, heißt es im Libretto von David Weber, der auch als Schlagertexter erfolgreich war (Ein Freund, ein guter Freund). Der Rückgriff auf die Kantatenform – mit Chören, Arie, Rezitativ, Lied-Duett, gesprochenen Zwischentexten – hat einen satirischen Unterton, der gesellschaftskritisch wirkt. Modisch-angejazzte Klänge, klassische Gesangskunst, agitprop-nahe Chöre, imitierte Motorengeräusche und Zwölftonmelodik bilden eine wilde, zeittypische Mixtur. Der Sprecher wendet sich direkt an die Radiohörer: „Basteln Sie nicht so viel am Apparat herum!“ Auch Eislers Klänge sind „radiotauglich“ schlank, die Instrumentalfarben nur wenig gemischt. Die Einspielung (eine Live-Aufnahme) steht unter der kompetenten Leitung von Ernst Theis, einem Radiomusik-Spezialisten und gelernten Schlagzeuger. Sowohl Eislers Kantate wie Künnekes Suite waren in der NS-Zeit geächtet und verboten.
Hans-Jürgen Schaal