Danuta Gwizdalanka
Der Verführer
Karol Szymanowski und seine Musik
Ein solches Buch war überfällig! Die Musik des polnischen Komponisten hat längst wieder weltweit jene Resonanz gefunden, die ihr zukommt selbst Pierre Boulez war ihrem Mystizismus, ihrer Sinnlichkeit und ihrer modernen Narration erlegen. Und die erste deutschsprachige Veröffentlichung Begegnungen mit Szymanowski im Leipziger Reclam-Verlag liegt 36 Jahre zurück. Es wurde also Zeit!
Schon 1920 urteilte Hans Heinz Stuckenschmidt, dass Polen uns zwei große Menschen gab: den elegischen Ekstatiker Chopin und den ekstatischen Elegiker Szymanowski. Da aber hatte der 1882 auf dem Landgut Tymoszówka geborene Komponist mit der Gruppe Junges Polen schon den Ausbruch aus der provinziellen Enge gewagt, war dem Krieg und der Revolution entkommen und hatte sich in den großen europäischen Musikzentren und auf Reisen nach Sizilien, Persien und Afrika durch zahlreiche Begegnungen und Einflüsse derartig profiliert, dass er als der legitime Nachfolger Chopins von internationalem Rang galt.
Die verschlungenen Lebens- und Schaffenswege Karol Szymanowskis zeichnet nun Danuta Gwizdalanka detailreich und mit feinem Gespür für die schillernde Persönlichkeit und die faszinierende Musik nach. Ihre lebendigen und farbigen Darstellungen sind spannend wie ein Roman und auskunftsfreudig wie ein Sachbuch; der Informationsgewinn ist beträchtlich. Sie schildert die engen und prägenden Familienbande und porträtiert Verwandte wie den Dichter Jaroslaw Iwaszkiewicz und den Pianisten Heinrich Neuhaus als Helfer und Förderer. Sie würdigt das Engagement der Freunde Arthur Rubinstein, Pavel Kochanski und Grzegorz Fitelberg und nimmt Bezug auf homoerotische Abenteuer, die die Reisen mit dem Mäzen Stefan Spies auch waren. Und sie berichtet von den Ehrungen als Nationalkomponist ebenso wie über den Lebensabend in Einsamkeit, Krankheit und Armut in Zakopane. 1937 starb Karol Szymanowski in einem Sanatorium in Lausanne.
Das Buch blättert ein Leben voller Extreme auf zwischen Schaffensdrang und Apathie, zwischen Exzessen und Ernüchterung, zwischen Narzissmus und Nationalgefühl , es entdeckt manches Geheimnis, und es findet auch für den Reiz und die Eigenart der Werke einfühlsame Worte. So wölbt sich ein großer Bogen von den romantischen Nachklängen der frühen Lieder und Préludes über Einflüsse von deutscher Musik (Konzertouvertüre, 2. Sinfonie), Impressionismus (1. Violinkonzert) und der Antike (Métopes, 3. Sinfonie) bis hin zur Bauern-Folklore der Goralen (Ballett Harnasie, Stabat Mater: 4. Sinfonie, Mazurken). Und der Verführer? Ein Bohemien in Existenznöten. Von Frauen umschwärmt, die ihm ihr Herz und ihr Geld zu Füßen legten er nahm nur das Geld. Ein Klangzauberer, der nicht nur mit Mythes, Masques oder Liebesliedern betörte. Und eine Musik, die Polen wieder bedeutsam gemacht hat solche Themen konnte die Autorin nicht einfach liegen lassen. Und das ist gut so.
Eberhard Kneipel