Jim McNeely
Der Unsichtbare
Ein Jazz-Melodram nach dem Roman von Ralph Ellison, August Zirner (Sprecher), hr-Bigband, Ltg. Jim McNeely
Was für ein ambitioniertes Projekt, den einst hochgelobten, inzwischen nahezu vergessenen Roman eines afroamerikanischen Autors aus den USA der 1950er Jahre in Fragmenten als Hörspiel mit zeitgenössischen Jazz-Kompositionen zu kombinieren. Und ein ganz neues Genre zu kreieren, irgendwo zwischen Musikstück, Hörbuch, Performance.
Jim McNeely, der vor Ideen nur so sprudelnde Chefdirigent der Frankfurter hr-Bigband, hat aus dem Roman des multitalentierten Ralph Ellison (1914-1994) ein Jazz-Melodram mit aufregenden kongenialen Eigenkompositionen geschaffen. Es klingt ein wenig aus der Zeit gefallen, wenn Sprecher August Zirner in unaufgeregtem, fast sanftem Timbre das Anliegen des politisch engagierten Autors aus der Ära Martin Luther Kings in poetischen, intellektuellen Phrasen vorträgt. Und ist doch auf erschreckende Weise hochaktuell, wenn beispielsweise von einem talentierten und unbewaffneten Schwarzen erzählt wird, der grundlos von einem Cop erschossen wird. Er glaubte an Brüderlichkeit, weckte unsere Hoffnungen und starb, trägt Zirner vor. Dem Cop hatte der Finger gejuckt, er hatte nach einem Wort gesucht, das sich auf trigger reimt.
Invisible Man, dieses hochkomplexe Chef duvre Ellisons und der einzige zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Roman, erzählt von dem Gefühl, unsichtbar zu sein, wenn man als Schwarzer unter Weißen lebt. Er räsoniert sublim über Rassendiskriminierung im Konkreten und Identitätssuche im Allgemeinen.
McNeely spiegelt in seinen feinen, eleganten, klassisch anmutenden Modern-Jazz-Kompositionen die literarische Vorlage kongenial wider. Manchmal scheint die Instrumentierung die Geschichte zu erzählen, manchmal scheint sie sich vom Inhalt zu distanzieren oder diesen zu kommentieren. Der Aufbau des Jazz-Melodrams klammert so nicht nur die Musik und Literatur zusammen Ellison war selbst Musiker und außerdem ein großer Liebhaber und Kenner der Jazzmusik seiner Zeit , sondern lässt auch über längere Passagen Raum, allein in die Musik abzutauchen und sich den klugen Kompositionen mit zahlreichen Instrumentalsoli wie in einem Livekonzert zu widmen.
Aber Vorsicht: Akustische Kontemplation wird bei dieser Produktion nicht geboten, vielmehr verlangt das vielschichtige Jazz-Melodram allein die Wortschöpfung verheißt Anstrengung dem Hörer einiges ab: Konzentration in jedem Fall. Auch eine (spätere) Beschäftigung mit dem Originalwerk und der Biografie des Autors kann der inspirierenden Rezeption nicht schaden. Lust auf mehr macht sie allemal.
Der technischen Umsetzung des experimentellen Projekts gebührt ebensolcher Respekt wie der Leistung der 17-köpfigen hr-Bigband, des Arrangeurs McNeely sowie des Textverarbeiters Zirner. Produzent Olaf Stötzler hatte bei der Bearbeitung von Ralph Ellisons Roman Der Unsichtbare den Tonmeister Axel Gutzler und Rainer Schulz als Toningenieur an seiner Seite.
Christina Hein