Rüdiger Ritter

Der Tröster der Nation

Stanislaw Moniuszko und seine Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Harrassowitz, Wiesbaden
erschienen in: das Orchester 10/2019 , Seite 57

Wer kennt schon den zweitwichtigsten polnischen Komponisten des 19. Jahrhunderts? Dass Stanislaw Moniuszko hierzulande im Schatten Chopins steht, liegt nicht zuletzt an der Sprachbarriere: Moniuszko widmete sich vorwiegend der Vokalmusik. Er hinterließ 24 Opern und Operetten sowie hunderte von Liedern, was ihm in seiner Heimat den Spitznamen „Polnischer Schubert“ einbrachte.
Rüdiger Ritter beschreibt in der ersten deutschsprachigen Biografie über Moniuszko, wie der Sprössling von Landadligen, der im Überschneidungsgebiet der polnisch-litauisch-weißrussischen Kultur aufwuchs, zum polnischen Nationalkomponisten wurde. Am 5. Mai 1819 kam Moniuszko in der Nähe von Minsk zur Welt. Zum Studieren ging er nach Berlin, wo er Unterricht bei Carl Friedrich Rungenhagen nahm, der Mendelssohn bei der Bewerbung um die Leitung der Sing-Akademie ausgestochen hatte. Nach seiner Berliner Ausbildung zog Moniuszko nach Vilnius. Hier verdiente er seinen spärlichen Lebensunterhalt als Organist, Klavierlehrer und Operndirigent.
Berühmt wurde Moniuszko auf einen Schlag mit seiner 1847 entstandenen Oper Halka, die den Status der polnischen Nationaloper erlangte. Das Drama um ein Bauernmädchen, das von einem Edelmann verführt wird, enthält scharfe Kritik an Adelsstand und Leibeigenschaft.
Da schlug die Zensur im russisch besetzten Warschau zu; erst elf Jahre später kam das Stück auf die Bühne.
Der überwältigende Erfolg dieser Uraufführung hängt damit zusammen, dass hier polnische Charaktere im Kampf gegen die Herrschenden auf der Bühne stehen. Zudem hatte Moniuszko Polonaisen und Mazurken in die Musik eingewebt. Die Moniuszko-Verehrung war ein Ausdruck des Ringens um die nationale Identität Polens, das im
19. Jahrhundert von der Landkarte verschwunden war. Dass Rüdiger Ritter den Komponisten als „Tröster der Nation“ bezeichnet, trifft den Nagel auf den Kopf.
Nach dem Erfolg von Halka wurde dem Komponisten prompt die Leitung der Warschauer Oper angeboten. Doch das berühmteste Werk des Komponisten erwies sich zunehmend als Zwangsjacke. Auch wenn Moniuszko zahlreiche weitere Bühnenwerke komponierte, wollte das Publikum nur noch National-Patriotisches hören.
Rüdiger Ritter hat sein weit ausholendes Buch mit zahlreichen Anmerkungen und Quellenhinweisen versehenen; doch sein flüssiger Schreibstil hält die Faktenfülle. Der Autor erläutert, worin die Bedeutung Moniuszkos für die polnische, aber auch die europäische Kultur des 19. Jahrhunderts besteht. Er ermuntert dazu, diesen Komponisten zu entdecken, der vom Reichtum der europäischen Musikgeschichte abseits ausgetretener Pfade zeugt.
Am Ende erkundet Ritter, wie Moniuszko den Status als nationale Ikone auch nach seinem Ableben beibehielt: Mit Halka wurde 1945 das Opernhaus in Breslau wiedereröffnet. Auch zur Einweihung der Warschauer Nationaloper stand zwei Jahrzehnte später Halka auf dem Programm. Der Hauptsaal wurde nach Moniuszko benannt.
Antje Rößler

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