Der Taktstock
Ein Dokumentarfilm von Michael Wende
Wendes Dokumentarfilm behandelt eine Frage, die sich wohl jeder schon einmal stellte: Wozu der Taktstock? Wer glaubt, mit dem Film eine geschichtliche Abhandlung serviert zu bekommen, irrt sich gewaltig. Nur zu Beginn werden die sprachlichen, interkulturellen Differenzen zwischen Taktstock, Baguette und Baton thematisiert, und dies aus der Perspektive einer fiktiven, ausgesprochen witzig animierten Figur eines Taktstockbauers, der genauestens über verwendetes Holz und den Griff, deren Gewichtsverteilung Auskunft gibt. Stattdessen bietet der Film einen präzisen Einblick in den Wettbewerb für junge Dirigenten, der zu Ehren Gustav Mahlers in Bamberg stattfindet. Wer nun wiederum eine Casting-Show der klassischen Musik erwartet, sieht sich ebenfalls eher enttäuscht. Am Ende des Films, als der Gewinner des Wettbewerbs benannt wird, ist die Verkündung so unauffällig und unprätentiös, dass sie einem fast entgeht, zugleich aber eine fast unschätzbare Wohltat gegenüber dem aufgedonnerten Popgewerbe ist.
Michael Wendes Film wartet nicht nur mit einer ausgesprochen unterhaltsamen Animation auf, deren Stimme Herbert Feuerstein ebenso unterhaltsam wie packend verkörpert, sondern mit virtuoser Schnitt- und Montagekunst, mit gewagten Bild-Ton-Experimenten und darüber hinaus mit intensiven Einblicken in die Funktion des Dirigenten. So treffend und kurz wurden selten Charakterisierungen des Dirigierens abgegeben wie hier. Im O-Ton kommen mit sehr aufschlussreichen Ausführungen die Jury, besonders Herbert Blomstedt, Jonathan Nott und Matthias Pintscher zu Wort, aber auch die Musiker und der Intendant und natürlich der Taktstockbauer, dessen kommentierend verfremdeter Blick auf kluge Art auch Menschen, die nicht vom Fach sind, diesen intensiven Einblick ermöglicht. Es geht um Magie, heißt es da, und tatsächlich ist der simple Sachverhalt, dass es sich beim Dirigieren um die Übersetzung des orchestralen Instrumentalkörpers zum Publikum handelt, zwar scheinbar banal, aber zugleich ist es einfach unglaublich, dass es überhaupt gelingt. In dieses Paradoxe, in die Unmöglichkeit des Einfachen, in die Zerbrechlichkeit des Moments, führt dieser Film ein, indem er die Unterschiedlichkeiten der Dirigierbewegungen und die Übertragung auf das Orchester genauer unter die Lupe nimmt, sogar die Feinheiten der Interpretation thematisieren kann mittels Screensplitting; und schließlich auch die Wahrnehmung auf die feinen Bewegungen des Taktstocks lenkt. Jonathan Nott kommt das Verdienst zu, das Filmprojekt auf diese Weise ermöglicht zu haben.
Im Wechsel von Animation, rasanten Schnittpassagen, diese meist unterlegt mit elektronisch poppigen Beats, ist Michael Wende ein Film gelungen, der gleichermaßen unterhaltend und brillant ist, wie er die Ernsthaftigkeit des Gegenstands ohne übertriebenes Pathos zu inszenieren weiß. Bei aller Unterhaltung ist man schließlich überrascht, dass der Film auch nicht verlernt hat, neue Musik wirkungsvoll zu thematisieren. Über die bedeutende Funktion des Dirigenten sind wir zwar mehr als informiert, sie sind die Stars gegenwärtigen Musikbetriebs. Wichtig aber ist es zu verstehen, warum sie es sind: Weil sie in ihrer energetischen Präsenz die äußerst anschauliche Vermittlung von Klang in Körper sind.
Steffen A. Schmidt


