Antonio Rosetti
Der sterbende Jesus
Anna-Lena Elbert (Sopran), Anne Bierwirth (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Daniel Ochoa (Bass), Vokalensemble BeckerPsalter, L’arpa festante, Ltg. Johannes Moesus
Anders als sein italienisch klingender Name vermuten lässt, stammt Antonio Rosetti aus Böhmen und wirkte auch während seines kurzen Lebens und Schaffens niemals in Italien; in einschlägigen Musiklexika erscheint er übrigens gelegentlich unter dem eingedeutschten Namen „Rößler“. Er gehört mit 42 Lebensjahren zu den prominenten frühvollendeten und -verstorbenen Musikern wie Mozart und Schubert und galt zu Lebzeiten als sehr erfolgreicher Vokal- und Instrumentalkomponist.
Sein Oratorium Der sterbende Jesus (1786) vertritt sowohl seinen Individualstil als auch die Charakteristik seiner Epoche auf exemplarische Weise: knapp in der strukturellen Ausformulierung, empfindsam und fantasievoll in der musikalischen Erfindung. Mit weniger als einer Stunde Aufführungsdauer konkurriert das Werk zwar nicht direkt mit den großen Passionsoratorien etwa von J. S. Bach, vermag das einschlägige Repertoire aber doch nachhaltig zu ergänzen und zu erweitern – mühelos ließe sich ein Passionskonzert zusammenstellen, indem man das Oratorium durch eines der konzertanten Orchesterwerke Rosettis ergänzt.
Es handelt sich hier also um eine durchaus bedeutende Komposition, die das historische Gesamtbild der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um wichtige Aspekte zu bereichern vermag. Insofern ist es bedauerlich und eigentlich auch unverständlich, dass dieses Werk so selten aufgeführt wird. Einen wichtigen Beitrag zu einer kleinen „Rosetti-Renaissance“ in unserem Konzertleben vermag dabei die vorliegende Veröffentlichung zu leisten: Die sehr konzise und ausgewogene, stilistisch und spieltechnisch durchweg überzeugende Interpretation erfüllt alle Ansprüche der Partitur. Dabei trägt der ausgefeilte Instrumentalpart ganz entscheidend zur Gesamtwirkung bei. Er wird hier von dem vierundzwanzigköpfigen, hochspezialisierten Ensemble „L’arpa festante“ ausgeführt, das trotz seiner kleinen Besetzung auch einen symphonischen Klang zu erzeugen in der Lage ist. Seine hohe Virtuosität verbindet es mit dem ebenfalls klein besetzten und perfekt intonierenden Vokalensemble „BeckerPsalter“, gemeinsam unter der kompetenten Leitung von Andreas Becker.
Die vier Vokalsolist:innen fügen sich in das schlüssige Interpretationskonzept nahtlos ein und bewältigen ihre Soloauftritte souverän und stilsicher, die beiden Frauenstimmen mit etwas gewöhnungsbedürftiger Stimmfärbung. Insgesamt leistet die vorliegende Neuveröffentlichung des einst recht populären Werks einen wichtigen Beitrag zur Repertoirebereicherung, auch und gerade im direkten Vergleich mit den bewährten Großwerken des gängigen Konzertbetriebs, dem diese Ergänzung bestens bekommen könnte. Als sehr hilfreich erweist sich auch die ausführliche musikhistorische Einführung von Günther Grünsteudel im Booklet.
Arnold Werner-Jensen