Monika Borth
Der siebte Cellist
Aus dem Leben des Berliner Philharmonikers und Gründers der 12 Cellisten Rudolf Weinsheimer
„Das Orchester hat sich einstimmig für Sie entschieden!“ Rudolf Weinsheimer, Jahrgang 1931, betrachtet dieses Votum auch im Abstand von über sechzig Jahren als „schönsten und wichtigsten Satz meines Lebens“. 1956 gelang es dem jungen Cellisten, ins damals wie heute renommierteste deutsche Orchester aufgenommen zu werden: Er wurde Berliner Philharmoniker – und blieb es bis zu seiner Pensionierung 1996.
Dass ein solches Leben allerlei Erzählenswertes aufbietet, überrascht kaum. Hieraus ein Buch zu formen, ist eine andere Sache. Weinsheimers Koautorin Monika Borth hat sich in ihren sonstigen publizistischen Arbeiten mit Themen wie Flucht und Vertreibung nach 1945 und mit dem Erkunden neuer Heimaten beschäftigt. Zudem lebte und arbeitete sie viele Jahre in Berlin: Faktoren, die vermutlich Affinitäten erzeugten zur außergewöhnlichen Vita Weinsheimers. Das Ergebnis ist ein gelungenes, unterhaltsames Erinnerungsbuch.
Weinsheimer war „der siebte Cellist“, ein Berufsleben lang „verheiratet“ mit Nr. 8: Christoph Kappler. In musikalischen Fragen lagen die beiden Herren öfters über Kreuz. Gleichwohl musizierten sie, gemeinsam mit ihren zehn cellistischen Kollegen, über viele Jahre nicht nur im Orchester, sondern in jener legendären Kammermusiktruppe, als deren Initiator sich Weinsheimer rühmen darf und die viele Nachahmer gefunden hat: die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker. Ausgehend von einer einzigen Originalkomposition, dem Hymnus von Julius Klengel, entstand anschließend an die triumphale Premiere der „12“ im Jahr 1972 ein außergewöhnliches Repertoire mit vielen Auftragskompositionen und fabelhaften Pop-, Jazz-, Tango- und Filmmusik-Arrangements, die das Spiel des Ensembles bis heute, in den Post-Weinsheimer-Generationen, zum Ereignis machen.
Organisationstalent zählte offenbar stets zu Weinsheimers Stärken. Sein Engagement für das Waseda Symphony Orchestra in Tokio, für besondere Events wie das Konzert der 1000 Cellisten (die Zahl entspricht der Realität!) und den Cellogipfel im japanischen Kobe zeugen hiervon und verweisen vielleicht zurück auf ein besonderes Kapitel seiner Jugendjahre, die in diesem Buch ebenfalls liebevoll dargestellt sind: seine Zeit als Schwarzmarkthändler in den Jahren 1945/46. Als Kind eines Ex-NSDAP-Mitglieds und einer zeitweise auseinandergerissenen Familie musste der kaum 15-Jährige zum Überlebenskünstler werden.
Der siebte Cellist beschreibt in mancherlei Hinsicht eine typische Nachkriegs-Musikerkarriere: eine treusorgende Ehefrau, die ihren Beruf aufgibt, um ihren weltreisenden Mann und vier Kinder zu unterstützen; die Lichtgestalt Karajan; die Japan-Begeisterung – all dies atmet den Geist der 1960er und 1970er Jahre. Doch es wäre ungerecht, Weinsheimers Erinnerungen hierauf zu reduzieren. Aus ihnen spricht Herzenswärme, Enthusiasmus für die Musik und nicht zuletzt Weisheit im Umgang mit Verlust und Trauer, von denen auch dieses Leben nicht verschont blieb.
Gerhard Anders