Udo Zimmermann

Der Schuhu und die fliegende Prinzessin

Theater Chemnitz, Robert-Schumann-Philharmonie, Ltg. Diego Martin-Etxebarria

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Rondeau
erschienen in: das Orchester 7-8/2022 , Seite 69

Die Robert-Schumann-Philharmonie besann sich während der vier Pandemiewellen gemeinsam mit GMD Guillermo García Calvo und Generalintendant Christoph Dittrich auf mediale Kernaufgaben: Konzertübertragungen in technisch einwandfreier Qualität bei Arte und auf physischen Tonträgern. In Vorbereitung ist unter anderem auch eine CD mit Werken von Frederick Delius. Solche Projekte zeigen ein geschicktes Umden­ken als Alternative zu einem auf Richard Wagner fokussierten und überregional stark beachteten Spielplan.
Unvorhergesehen wurde die in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur entstandene Aufnahme von Der Schuhu und die fliegende Prinzessin zu einem künstlerischen Nachruf auf den am 22. Oktober 2021 im Alter von 78 Jahren verstorbenen Komponisten und Intendanten Udo Zimmermann. Lorenzo Fioronis ursprünglich für 2020/21 vorgesehene Neuinszenierung gelangt allerdings erst in der Spielzeit 2024/25 zur Premiere.
Die 1976 in Dresden uraufgeführte und in den Jahren um den Mauerfall in Ost- wie Westdeutschland oft gespielte Oper wirkt erfreulich frisch. Mit guter Textverständlichkeit und koloristischer Klang­bewegtheit entfalten sich die Hörspielqualitäten von Zimmermanns gestisch akzentuierter Vertonung. Peter Hacks’ „Märchen-Novelle in vielen Kapiteln“ (Erstausgabe 1964, Schauspielfassung 1966) über die komplizierte Liebe zwischen dem intelligenten Fantasievogel Schuhu, den die Schneiderin als Ei zur Welt bringt, und der Prinzessin von Tripolis richtet sich vor allem an Erwachsene. Unschwer ist die poetische Spiegelung der in Warschauer Pakt und NATO gespaltenen Welt von vor 1989 zu erkennen. Das utopische Märchen zeigt die Überwindung des pragmatischen wie dummen Materialismus, von dem man sich im Idealfall befreit, indem man ihn „überflügelt“.
Diego Martin-Etxebarria nutzt die klare und luzide Akustik der Stadt­halle Chemnitz für exquisite Finessen, die dieses „Überflügeln“ mit Klängen malen. Das Sänger­ensemble fühlt sich in den zahlreichen Partien, auf die Zimmermann und sein Co-Librettist Eberhard Schmidt auch Erzähltexte von Hacks verteilt hatten, hörbar wohl. Andreas Beinhauer und Marie Hänsel sind das Traumpaar über den Dächern – und damit außerhalb der von Kriegs­treiberei und Wettbewerbsrivalitäten gelenkten Zivilisationen.
Sprech- und Gesangspassagen erklingen pointiert, dank Lorenzo Fioronis Textregie auch äußerst lebendig. Die transparente Farbigkeit bewirkt allerdings, dass die von Zimmermann aus Instrumentations­effekten gewonnenen elektronischen Verfremdungen nicht immer mit der beabsichtigten Kontrastschärfe hörbar werden. Die Doppelbödigkeit der glatten Tonalität, welche die Borniertheit von Amtsvertretern mit musikalischem Spott kritisiert, ist als latente Signalwirkung, die sie für das Publikum der Entstehungszeit in der DDR war, kaum noch verständlich. Auch ohne Szene bestätigt Zimmermanns Schuhu-Oper ihren hohen Rang als wichtige Märchenoper aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Roland Dippel