Richard Wagner
Der Ring des Nibelungen
Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin, Ltg. Donald Runnicles, Inszenierung: Stefan Herheim
Beginn und Ende von Stefan Herheims Welt-Erzählung zeigen auf leerer Bühne einen Flügel – leider ein Bildsymbol aus Herbert Wernickes Brüsseler Ring von 1991. Nun wird auch in Berlin viel Musizieren angedeutet: Geschlossen ist das Ins-trument Podium für Auftritte; geöffnet fahren viele Figuren hoch oder in die Tiefe; aus dem Inneren fegen auch bühnengroße Tücher empor und bilden Projektionsflächen für Baumkrone, grüne Welt, einen Globus oder die Vision der Wälsungen-Babys. Am Ende sitzt ein gealterter Wotan am Flügel … letzte Takte … Abgang.
Zentrale Hinzuerfindung Herheims ist ein Flüchtlingsstrom, der immer wieder die Bühne überquert, dann viel und oft in weißer Unterwäsche farbig beleuchtet Wasser oder Feuer imitiert und in der Götterdämmerung zur Sekt-Society von heute mutiert. Zentrale Optik bilden auch die vielen Flüchtlingskoffer, die mal bühnengroße Hügel-Landschaft, Wände oder Flächen formen – Ring-Thema Flucht und Vertreibung?
Weiter hinzuerfunden: Sieglinde hat mit Hunding einen halb erwachsenen Sohn, dem sie parallel zu Siegmunds Schwertgewinn die Kehle durchschneidet; zur Leidenschaftsmusik des ersten Walküre-Finales zeugen beide dann auf dem Flügel recht realistisch den späteren Siegfried; Mimes Kopf-Maskerade zeigt den alten Richard Wagner, der unter Sieglindes Rock das Siegfried-Baby aus dem Mutterleib holt. Dann wabern Rauch und Nebel. Nur gelang das in Chéreaus „Jahrhundert-Ring“ von 1976 dramaturgisch überzeugender. Auch Uta Heisekes Kostüme befremden durch dramaturgisch unschlüssiges Vielerlei. Am Ende kehrt gar eine Putzfrau den Dreck auf der leeren Bühne zusammen …
Die drei Rheintöchter schälen sich aus dem Flüchtlingsstrom, singen durchweg klangschön. Auch der Jung-Wotan von Derek Welton könnte dem Flüchtlingspulk entstammen, trumpft aber im Rheingold-Finale überzeugend auf. Dem über seine Szenen hinaus mehrfach auftretenden Rheingold-Alberich von Markus Brück fehlt für die über das Werk bis heute ausstrahlende Fluch-Szene die nötige gespenstische Gefährlichkeit; erst Jordan Shanahan kann in Siegfried und Götterdämmerung überzeugen. Thomas Blondelles Loge im Mephisto-Kostüm könnte hinterhältiger sing-schauspielern. Schöner Sopran-Gesang von Elisabeth Teiges Sieglinde, Aile Assonyis Gutrune und auch Nina Stemmes etwas sehr reifer Brünnhilde. Iain Patersons Wotan-Wanderer hat herrschaftliches Format, ebenso der wuchtige Hagen von Albert Pesendorfer. Aber spannende Fallhöhe fehlt allen.
Die übrigen Figuren klingen gut, wie auch der Chor (Einstudierung: Jeremy Bines). Nur fehlt von Donald Runnicles und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin immer wieder die ganz große, fesselnde Klang-Spannweite zwischen fahlem Abgrund, leiser Intimität und lodernder Leidenschaft.
Wolf-Dieter Peter