Hans Werner Henze

Der Prinz von Homburg

Staatsoper Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart, Ltg. Cornelius Meister

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 71

Hans Werner Henze war fasziniert von Heinrich von Kleists Sprache und deren „Spannung, die im Zusammenwirken von Seidigem und Stählernen liegt“. Die Erstaufführung des Prinzen von Homburg im März 2019 an der Staatsoper Stuttgart war die bisher letzte einer an Vorstellungszahlen nicht sonderlich reichen, aber nachdrücklichen Erfolgsgeschichte. Ein „kongeniales Meisterwerk“ nannte Volker Hagedorn die Partitur bei der Premiere im Staatstheater Mainz 2013. Henze revidierte die am 22. Mai 1960 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführte Partitur 1991 für die Münchner Opernfestspiele und strich den Chor. Diese auch in Stuttgart gespielte Fassung scheint sich gegenüber der früheren durchzusetzen.
Selten bescheren das direkte Erleben im Theater und das Hören eines CD-Mitschnitts derart unterschiedliche Erfahrungen wie bei dieser Oper, die sich mit dem von Liebe und Ruhm träumenden Prinzen Friedrich Artur von Homburg auseinandersetzt, der verbotenerweise mit dem preußischen Heer einen Angriff auf die Schweden riskiert, diese in der Schlacht bei Fehrbellin schlägt und für seine Insubordination hingerichtet werden soll.
Ingeborg Bachmanns Kürzungen und Ergänzungen verallgemeinern die vom Militär dominierte Sphäre in einen in den 1950er Jahren virulenten Konflikt des Einzelnen gegen repressive Räder-werke. In dem von Luchino Visconti angeregten und Igor Strawinsky gewidmeten Werk orientierte sich Henze an der vokalen Versatiliät der italienischen Oper und griff freisinnig die Zwölftontechnik der Zweiten Wiener Schule auf, um den Verhärtungen der preußischen Staatsgewalt die angemessen kantige Aura zu geben. Als Seitenhieb sollte dies zudem die Henze ablehnende Gruppe der Darmstädter Ferienkurse treffen.
Unter dem Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister wirkt das musikalische Geschehen wie unter einem Schleier von grauer Weichheit. Zu expressiven Aufschwüngen kommt es selten. Die Befangenheit der Figuren wird mit zermürbender Blässe deutlich. Meister gelingt eine überraschend spannende Deutung, die in Henze den Individualisten sucht und nicht den souveränen Eklektiker. Sogar die Liebesszene mit der vital-klaren Vera-Lotte Böcker als Natalie von Oranien kommt wie aus Nebel.
Cornelius Meister wendet mit dem henzeerfahrenen Staatsorchester Stuttgart Souveränität in Morschheit. So stellt diese Interpretation das allenfalls halbglückliche Ende vollends in Zweifel. An den Solostimmen des auf dieser CD-Erstveröffentlichung der Oper einmal mehr hervorragenden Stuttgarter Ensembles liegt es nicht: Robin Adams in der Titelpartie ist schärfer und markanter als etwa François Le Roux in München, mehr Militär als Träumer. Štefan Margita (Kurfüst), Helene Schneiderman (Kurfürstin), Michael Ebbecke (Dörfling), Friedemann Röhlig (Oberst Kottwitz) und Moritz Kallenberg (Hohenzollern) sind vereint im disziplinierten Volleinsatz für Henze, der am Opernhaus Stuttgart eine langfristige künstlerische Heimat gefunden hatte. Hart wie flächendeckend entpersönlichtes Anthrazit und beeindruckend quälend.
Roland Dippel