Olaf Schmidt
Der Oboist des Königs
Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich dieses Buch primär an die Zielgruppe musikhistorisch interessierter Leser richtet – das auf jeden Fall impliziert der Titel. Allerdings beinhaltet dieser schon in sich zwei Missverständnisse: Erstens spielt der Oboist im ganzen Buch keinen einzigen Ton auf der Oboe, sondern ausschließlich auf der Traversflöte, und zweitens nimmt dieses Buch neben Johann Jacob Bach, dem älteren Bruder des großen Johann Sebastian, hauptsächlich die andere im Titel erwähnte Figur in den Blick, nämlich den König – in diesem Fall Karl XII. von Schweden, einen äußerst widersprüchlichen Potentaten.
Alle, die hier eine biedermeierlich erzählte Musikerbiografie erwarten, seien allerdings gewarnt: Dieses Buch strotzt vor prall erzähltem Leben, lässt kein blutrünstiges Detail der zahlreichen detailliert recherchierten Schlachtenbeschreibungen des Großen Nordischen Krieges aus und gipfelt im wahrhaft schockierend-realistischen Ablauf der brutalen Hinrichtung des Barons von Patkul und der detaillierten Ausmalung der desaströsen Niederlage des schwedischen Heers bei Poltawa.
Nicht nur diese Teile sind wahrlich keine Nachttischlektüre, die das Einschlafen erleichtern, sondern die sehr realitätsgetreue Schilderung der unglaublichen Leiden der Soldaten auf den menschenverachtenden Feldzügen Karls XII. Der Autor beschreibt die Begebenheiten in solch treffender Sprache, dass sich vor dem inneren Auge des Lesers ein prall-buntes Kaleidoskop der damaligen Ereignisse auftut.
Und wie kommt nun der titelgebende Johann Jacob Bach in dieses Spiel? Die Beschreibung der gemeinsamen Kindheit mit dem Bruder Johann Sebastian in Eisenach und die erste musikalische Ausbildung nach dem Tod der Eltern beim älteren Bruder Johann Christoph im nahegelegenen Ohrdruf ist ein großes Lesevergnügen und mit vielen kleinen, teilweise sicher fiktiven Anekdoten, aber auch mit historisch belegten Details gespickt – köstlich außerdem die Schilderung des äußeren und inneren Erscheinungsbildes vieler Protagonisten.
Anschaulich wird die unterschiedliche persönliche Entwicklung von Sebastian und Jacob aufgezeigt. Deren Wege trennen sich nach einigen Jahren: Den einen treibt es in jenen unsteten Lebenswandel, der ihn schließlich im Gefolge Karls XII. über das heutige Weißrussland bis nach Konstantinopel und letztendlich nach Stockholm führt, wo er 1722 mit nur 40 Jahren stirbt, während der andere von Anfang an nur seine Kunst und die dafür erforderliche sichere Anstellung im Sinn hat. Am Ende des Buchs schließt sich als inhaltliche Klammer der Kreis für die beiden Brüder – zumindest fast.
Dieses Buch ist ein literarischer Volltreffer und Olaf Schmidt, der 2006 seinen Debutroman Friesenblut vorlegte, ist mit Der Oboist des Königs ein sprachmächtiges Werk gelungen, das uns die Barockzeit im Allgemeinen und den ungewöhnlichen Lebensweg von Johann Jacob Bach im Besonderen in aller Üppigkeit nahe bringt.
Kristin Thielemann