Pyotr IlyichTchaikovsky

Der Nussknacker op. 71 / „Der Kuss der Fee”

Gürzenich-Orchester Köln, Ltg. Dmitrij Kitajenko

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 448
erschienen in: das Orchester 03/2017 , Seite 70

Es passiert relativ selten, dass Dirigenten ein Orchester über Jahrzehnte hinweg in Chefposition leiten, wie nach dem Krieg Günter Wand das Gürzenich-Orchester. Mittlerweile arbeitet der Russe Dmitrij Kitajenko mit den Kölner Musikern aber auch schon seit dreißig Jahren zusammen, freilich als (ständiger) Gast und seit 2009 als Ehrendirigent. Was ihn immer wieder zum Gürzenich-Pult zurückführt: „großer gegenseitiger Respekt und tiefes menschliches und musikalisches Vertrauen“.
Das Repertoire des 1940 in Leningrad geborenen Dirigenten hat sein Zentrum naturgemäß im Musikschaffen Russlands, auch wenn sich Kitajenko dagegen wehrt, in eine entsprechende Schublade gesteckt zu werden. Aber wenn schon, denn schon, sagen sich wohl Orchester und Vorstand. Man freut sich, russische Musik kontinuierlich mit einem genuinen Maestro erarbeiten zu können. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden so die Sinfonien von Schostakowitsch, Pro­kofjew, Tschaikowsky und Rachmaninow präsentiert und auch auf CD aufgenommen.
Zu Wands Zeiten gab es erste, bescheidene Studiotätigkeiten. Die nahmen dann während der Kölner Tätigkeit von James Conlon (1989-2003) zu. Im Mittelpunkt stand hier das Œuvre von Alexander Zemlins-
ky, den Conlon für sich entdeckt hatte. Schwerpunkte bei seinem Nachfolger Markus Stenz waren u.a. Mahler, Strauss und Schönberg.
Die Tschaikowsky-CD-Serie unter Kitajenko, 2010 mit der Manfred-Sinfonie begonnen und mit Jolanthe auch die Oper berücksichtigend, findet jetzt ihren vermutlichen Abschluss mit einem Doppelalbum, welches das Ballett Der Nussknacker enthält, dramaturgisch sinnvoll ergänzt durch Igor Strawinskys Divertimento aus Der Kuss der Fee. Trotz diverser Gesamteinspielungen ist der Nussknacker im Konzertsaal vorrangig als Suite bekannt, wie vom Komponisten auch zunächst entworfen. Sie enthält die populärsten Nummern, während die erweiterte Handlungsmusik weniger „Ohrwürmer“ aufweist.
Die farbintensive und klangsüffige Gürzenich-Aufnahme lässt beim Hören allerdings keine Lethargie aufkommen. Sogleich die Ouvertüre bezaubert mit klarem, durchsichtigem Duktus. Beim „Marsch der Zinnsoldaten“ gönnt sich der souverän steuernde Dmitrij Kitajenko vorübergehend ein gebremstes Tempo, achtet aber sonst stets auf flüssige Gangart. Im dritten Bild („Tannenwald“) bieten die Kölner Domsingknaben feine Vokalisen. Bei dem effektvollen Einsatz der Celesta im „Tanz der Zuckerfee“ ist daran zu erinnern, dass Tschaikowsky das ihm bislang unbekannte Instrument spontan verwendete, als er es 1891 bei seinem Amerika-Aufenthalt kennen lernte.
Ähnlich wie dieser Komponist verfuhr übrigens auch Igor Strawinsky. Nach der nicht sonderlich erfolgreichen Bühnenpremiere seines Balletts Der Kuss der Fee (1928) stellte er Höhepunkte der neoromantischen Musik zu einem knapp halbstündigen Divertimento zusammen. Unter Dmitrij Kitajenko bietet das Gürzenich-Orchester viel Klangcharme und Delikatesse.
Christoph Zimmermann