Frank Nimsgern

Der Mann mit dem Lachen

Staatsoperette Dresden, Ltg. Peter Christian Feigel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: HitsQuad
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 69

Ein gesellschaftskritischer Roman von 1869, 400 Seiten dick, als Vorlage für ein Musical? Die Staatsoperette Dresden hat es sich, als Auftragswerk, getraut. Nun sind dessen Klänge auf einer Doppel-CD zu erleben, als Livemitschnitt vom Juni 2019. Die Geschichte, die Victor Hugo in Der Mann mit dem Lachen (L’homme qui rit) erzählt, ist ziemlich verwickelt. Gwynplaine, als Kind verunstaltet, verliebt in ein blindes Waisenmädchen, strebt nach Höherem: Lord will er sein. Natürlich wird er verraten und fällt tief, erkennt aber den Wert des eigenen, armen Lebens.
Die Aufführung der Staatsoperette beginnt mit lautem, herrischem Klopfen „im Namen der Republik!“ und damit mit einem Problem: Das Musical ist extrem textlastig (schließlich sind viele Romanseiten unterzubringen), zudem stammen Buch und Dialoge von Tilmann von Blomberg, die Gesangstexte dagegen von Alexander Kuchinka. Und so dauert es ein Weilchen, bis die dramatisch-hohe, treibende Musik von Frank Nimsgern zum ersten Mal erklingt und in einen gefälligen Chor mündet. Ab jetzt wechseln sich Text und Töne ab, kennt Gwynplaine (Jannik Harneit, sicher in allem, was die Rolle fordert) sprechend seine Herkunft nicht, tröstet ihn Ziehvater Ursus (Elmar Andree) singend: „Wer lacht, fühlt sich stark“. Mal treibt Nimsgern den Chor mit Schlagwerk voran, mal lässt er ihn in lichte, rhythmische Höhen steigen (exzellent einstudiert von Thomas Runge). Ebenso souverän hält Peter Christian Feigel die musikalischen Fäden fest in der Hand – und die sind durchaus unterschiedlich. Da lässt Eva-Riina Rannik das Cembalo klimpern, zieht der Komponist Linien von Klassik über Populäres bis zu Elektro-Riffs, Riesen-Tutti erklingen neben kunstvollen Stimmschlenkern, gibt es, was ein Song verheißt: „Brot und Spiele“. Alles kein Problem für das wandelbare Ensemble und ein souveränes Orchester.
Da sind auch altbekannte Musicalbausteine dabei, träumt sich Jannik Harneit aber auch sanft, tastend und melodisch nach „oben“, wo er unbedingt hin will. Fürchtet dieser Gwynplaine sich, zum Beispiel als Peer zu versagen, begleitet ihn eine sanfte, dunkel gesäumte Flöte. Die Qualität des Stücks ist durchaus unterschiedlich: Da wird „Chance“ auf „Trance“ gereimt, „Rechte“ auf „dächte“; Gwynplaine darf sich ein „Ich bin das Volk“ nicht verkneifen. Wohlfeile Weisheiten à la „Der Griff nach den Sternen ist immer fatal“ werden ebenso geboten wie eine Lady, die sich in Text und Tönen an Gwynplaine ranschmeißt – wie Komponist und Texter sich das eben so denken. Hinreißend dagegen und zu Recht mit einem Preis bedacht ist Angelika Mann als barsche, dem Likörchen nie abgeneigte Königin Anne.
Szenisch gruseliger als die Musik war die Szene unter einem Gehenkten, als Doktor Hardquannone (Bryan Rothfuss) lieblich singend den Betrug an Gwynplaine aufdeckt. Die Uraufführung am 27. April 2019 dauerte gut drei Stunden, der Mitschnitt ist kaum kürzer. Aber entgegen Hugos Roman mündet Der Mann mit dem Lachen in ein Happy End – ein Musical-Muss.
Ute Grundmann