Antal Doráti

Der Künder (The Chosen)

Oper in 3 Akten nach Texten von Martin Buber. Tomasz Konieczny, ­Michael Schade, Rachel Frenkel, Ron Silberstein, Teatr Wielki Choir Poznan, Beethoven Academy Orchestra, Ltg. Martin Fischer-Dieskau

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 68

Seine Haydn-Aufnahmen – alle 104 Sinfonien und ein Opern-Zyklus mit vielen Weltersteinspielungen – waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Meilenstein. Dass der Dirigent Antal Doráti (1906-1988) auch als Komponist ein umfangreiches Œuvre (zwei Sinfonien, Kammermusik, Lieder) hinterließ, ist weniger bekannt. Anlässlich des Themenjahrs „Jüdisches Leben in Deutschland 2021“ realisierte Martin Fischer-Dieskau, der in den 1970er Jahren Assistent Dorátis beim Detroit Symphony Orchestra war, die CD-Produktion von Dorátis 1984 vollendeter Oper Der Künder. Die Aufnahmesitzungen fanden im August 2021 im TV Studio Krakau statt.
In Reibung an Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium Elias vertonte Doráti das Mysterienspiel Elija des jüdischen Religionsforschers, Religionsphilosophen und Literaten Martin Buber (1878–1965). Der Streit zwischen dem Propheten und dem Meister der Riten (Marek Gastecki), die Enteignung Nabots durch den König Ahab (Michael Schade) und Isebel (Rachel Frenkel) sowie andere Episoden bis zu Elias Entrückung im Flammenwagen sind die Stationen des zweieinhalbstündigen Dreiakters. In der Titelpartie kann man erleben, warum der Bariton Tomasz Konieczny als Wotan Triumphe feiert. Sein Elia ist ein mehr streitbarer als diplomatischer Prophet, der mit sattem Charisma für die Verteidigung seiner Religion und deren Inhalte einsteht.
Doráti hat zum biblischen Geschehen eine dramaturgisch plausible wie effektvolle Musik komponiert. Der ungarisch-jüdische Dirigent kannte das spätromantische Repertoire und versetzt seinen Elia in ein gestisches Klangambiente mit Reminiszenzen aus Ravels Bolero und Strauss’ Salome. Mit direkten Zitaten hat das wenig zu tun. Doráti entwickelte vielmehr mittels rhythmischer und instrumentaler Akzente ein semantisches Bezugsnetz zur europäischen Klangtopografie des frühen 20. Jahrhunderts.
Das wesentliche musikdramatische Konstrukt wird bei späteren physischen Aufführungen deutlicher werden: Die Stimme Gottes übernimmt immer „die Person, zu der sie spricht“. Das erfordert eine vorherige Tonaufnahme mit den jeweiligen Interpreten, die in den betreffenden Szenen zugespielt wird. In Orientierung an Bubers Hauptwerk Ich und Du geht es dabei nicht nur um den Dialog mit Gott, sondern auch um die die Identitätsbildung in der Auseinandersetzung mit der Umwelt.
Dorátis Partitur wirkt dynamisch, lebendig, agil und sehr textbezogen. Martin Fischer-Dieskau rückt die Stimmen für die Aufnahmen in den Vordergrund. Vom Orchester der Beethoven Akademie Krakau hört man, dass Doráti ein klingendes Fresko mit üppigen Farben, Glanz und matten Schraffuren im Sinn hatte. In einer Zeit, die Eklektizismus nicht mehr mit einem pejorativen Unterton versteht, müsste Dorátis Vermächtnis einer spirituellen Auseinandersetzung bald ein Uraufführungstheater finden.
Roland Dippel