Philippe Jordan

Der Klang der Stille

Aufgezeichnet von Haide Tenner

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Residenz
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 63

Natürlich ist es für Memoiren nach dem Motto „Das war mein Leben“ zu früh. Philippe Jordan, gerade mal 46 Jahre alt, befindet sich noch inmitten des Karriereflusses seines so steilen Aufstiegs. Seit Kurzem ist er Wiener Staatsoperndirektor – viel mehr kann da nicht kommen, zumal er zuvor zwölf Jahre lang als Pariser Opernchef wirkte. Den Weg dahin schildert Haide Tenner im biografischen Teil ihres Buchs Der Klang der Stille.
Jordans Biografie in Schlagworten: geboren in Zürich als Sohn des Dirigenten Armin Jordan, Studien in Klavier (nicht in Dirigieren!), danach die „Ochsentour“ an Theatern in Ulm, Graz und Zürich. Prägend war seine Begegnung mit Daniel Barenboim als dessen Assistent in Berlin. Später dann stand er vor den Premium-Orchestern dieser Welt: den Wiener Symphonikern, den Berliner und Wiener Philharmonikern sowie den „ganz Großen“ in den USA, nämlich in San Francisco, Cleveland, Philadelphia, Chicago und New York.
Ein entscheidender Satz für diesen schnellen Aufstieg findet sich am Anfang der biografischen Schilderung, wo von dem dauerhaft abwesenden, stets dirigierenden Vater des jungen Philippe die Rede ist: „Ich glaube, von ganz klein auf habe ich immer meinen Vater gesucht.“
Im zweiten Teil des Buchs vermittelt Jordan sodann sehr tief ausgelotete Einblicke in das Innenleben zentraler Werke von Komponisten wie Mozart, Schumann, Brahms, Bruckner, Verdi und Puccini. Das liest sich schon deshalb sehr rund, weil hier keine wissenschaftlichen Kurzanalysen anzutreffen sind, sondern tiefe, aus der Praxis und der „Psyche der weltlichen Orchester“ herrührende Beschreibungen eines Dirigenten. Und ein solcher ist ja mehr als nur ein musikalischer Supervisor. Besonders ausführlich wendet Jordan sich dabei Richard Strauss und Richard Wagner zu. So sind etwa seine Schilderungen des praktischen Alltags bei den Bayreuther Festspielen ein beredter Beweis dafür, mit welch eigener Dynamik sich musikalische Großproduktionen vollziehen: „In Bayreuth muss man sein Ego an der Pforte abgeben.“ Und bei Bach, Schubert und Beethoven schaut Jordan ebenso respektvoll wie behutsam in die Komponisten als Menschen hinein und lässt uns mit gleichsam metaphysischen Erkenntnissen an seinem Interpretationsansatz ihrer Musik teilhaben.
Neben einem kurzen Abriss zum Handwerk des Dirigierens endet das Buch mit Jordans erst kürzlich erfolgtem Wechsel als Musikdirektor an die Wiener Staatsoper. Hier steht er nun in einer Reihe mit Gustav Mahler, Karl Böhm, Herbert von Karajan und Lorin Maazel. Und bleibt dennoch bescheiden. Er gehe schon lange nicht mehr für sich ans Pult, wird er zitiert, sondern mit dem Gefühl, anderen etwas zu geben.
Haide Tenner hat Jordans Ausführungen in einen nüchtern-ruhigen, eher unprätentiösen Erzählstil gepackt. Das passt zum Titel, denn das Phänomen „Stille“ spielt in Jordans Musikverständnis eine große Rolle. Er ist überzeugt, „auch wenn die Musik sehr laut ist, hat man 2 000 Menschen im Saal, die durch ihre Stille und Aufmerksamkeit zu wichtigen Mitspielern werden.“ Wie wahr!
Thomas Krämer