Dvorák, Antonín

Der Jakobiner

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Orfeo C 641 043 F, 3 CDs
erschienen in: das Orchester 11/2005 , Seite 93

Die erste Begegnung mit Dvoráks Jakobiner könnte enttäuschend sein: Während der Titel ein blutiges Drama vor dem Hintergrund der Französischen Revolution mit einem tödlichen, vom Fallbeil gezogenen Schluss erwarten lässt, erkennt man dagegen bei der Lektüre des Librettos rasch eine Verwandtschaft mit der Spieloper. Spätestens zu Beginn des zweiten Akts gibt es daran keine Zweifel mehr, wenn der Dorflehrer mit dem bedeutsamen Namen Benda eine Kantate zu Ehren der Obrigkeit probt – Lortzings Zar und Zimmermann lässt grüßen! An ein anderes Opernlustspiel erinnert noch die Einleitung zum ersten Akt, die im gottesdienstlichen Orgeleinsatz mündet – doch die „meistersingerliche“ Anspielung versteckt sich hinter „orthodoxen“ Klängen.
Einziger Bezugspunkt zur Französischen Revolution ist die Handlungszeit: 1793. Doch die Bühne zeigt nicht Paris und den „terreur“, sondern ein böhmisches Provinzdorf. Der zu Unrecht als Jakobiner verdächtigte Sohn des Grafen ist (zunächst incognito) zurückgekehrt und verhindert, dass dessen „böser“ Neffe neuer Regent wird. Daneben gibt es noch das Liebespaar Jiri und Terinka, deren Heirat der mächtige Schlossverwalter zu hintertreiben sucht – auch der bemüht sich (selbstverständlich erfolglos) um die hübsche Frau. Bevor der Schlussvorhang fällt, hat die Gerechtigkeit gesiegt und wird mit Bendas Kantate, einem operngemäßen Chor und sogar einem Ballett ausgiebig gefeiert.
Überhaupt bietet das Libretto zahllose Gelegenheiten für Liedereinlagen, Chöre und vielstimmige Ensembles in den verschiedensten Größenordnungen. Dvorák hat dazu eine hinreißende Musik in allen denkbaren Schattierungen komponiert – mal als Gassenhauer (Spottchor im ersten Akt), mal folkloristisch in böhmischer Manier, dann als Drehorgel-Serenade mit Ufftata-Begleitung oder stellenweise mit wagner-geschulter Liebesleidenschaft und mitunter etwas schmalzig (Julias Wiegenlied zur Harfe); doch vor dem pompösen Finale des ersten Akts verblassen selbst Aidas Massenszenen zu kammermusikalischen Miniaturen!
Unter den Solisten glänzen Andrea Danková und Lívia Ághová in den mitunter mörderischen Sopran-Partien der Julia bzw. Terinka, Peter Mikulás mimt bestens den unsympathischen Schlossverwalter und Eberhard F. Lorenz glänzt als wichtigtuerischer Lehrer Benda. Aber auch Christoph Stephingers würdiger Graf, Mark Holland als hinterhältiger Neffe Adolf, der „gute“ Sohn Bohus von Marcin Bronikowski und Michal Lehotsky in der Rolle des tenoral um seine Terinka kämpfenden Jägers Jirí stehen nicht nach. Für den Prager Kammerchor ist die tschechisch gesungene Aufnahme (wie für einige Solisten) natürlich ein Heimspiel, doch auch in den Adern der Kölner Mitwirkenden scheint böhmisches Blut zu fließen.
Der Mitschnitt der konzertanten Aufführung unter der souveränen Leitung Gerd Albrechts ist ohne Nebengeräusche und kann technisch mit einer Studioaufnahme problemlos konkurrieren. Gespielt wird Dvoráks längst eingebürgerte Zweitfassung.
Georg Günther