Weinberg, Mieczyslaw

Der Idiot

Orchester des Nationaltheaters Mannheim, Ltg. Thomas Sanderling

Rubrik: CDs
Verlag/Label: PAN Classics, PC 10328
erschienen in: das Orchester 02/2016 , Seite 73

In den vergangenen Jahren hat sich das Interesse am Schaffen des Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919 – 1996) deutlich verstärkt. Linus Roth hat eine hochgelobte Gesamteinspielung seiner Violinsonaten sowie die seines Violinkonzerts vorgelegt, das Label cpo widmet sich vor allem seiner Kammermusik, zudem sind Orchesterwerke und Konzerte Weinbergs in älteren russischen Einspielungen nun auch auf dem deutschen Markt greifbar. Mitentscheidend für die Renaissance des in Polen geborenen, nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten auch in der damaligen Sowjetunion wegen seiner jüdischen Herkunft diskriminierten Musikers war die Uraufführung seiner Oper Die Passagierin bei den Bregenzer Festspielen 2010. Später folgte das Badische Staatstheater Karlsruhe mit der deutschen Erstaufführung, inzwischen hat auch Frankfurt die Passagierin aufgeführt. Parallel zu der Karlsruher Passagierin hatte Weinbergs letzte Oper Der Idiot, entstanden 1986 nach Dostojewskis gleichnamigem Roman, am Nationaltheater Mannheim Premiere (siehe das Orchester 7-8/2013, S. 61).
Von dieser hochklassigen Produktion ist nun ein sehr gut klingender Livemitschnitt erschienen, der die damaligen positiven Eindrücke unterstreicht. Dabei kommt dem Dirigenten Thomas Sanderling am Pult des sehr konzentriert und klanggeschmeidig musizierenden Orchesters des Nationaltheaters eine besondere Rolle zu. Sanderling, Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling, wurde in der Emigration geborenen und begann sein Studium in der Sowjetunion, wo seine Familie engen Kontakt zu Schostakowitsch hatte. Weinbergs Musik ist, ohne epigonal zu sein, Schostakowitsch verpflichtet, dem er die Oper Der Idiot widmete. Die Figuren sind durch klangfarbliches Kolorit und teilweise sehr verschlungen eingesetzte Leitmotive charakterisiert, der Orchestersatz ist trotz eines prägnanten Blechanteils durchaus hörbar gehalten. Der musikalische Radius der Partitur ist erstaunlich weit. Weinbergs Kunst besteht weniger darin, ganz Neues zu erfinden, als scheinbar Bekanntes ungewohnt zu kombinieren und so einen eigenen Stil zu schaffen.
Sanderling kann bei diesem Mitschnitt seine ganze Erfahrung mit der Musik Mieczyslaw Weinbergs einbringen. Unterstützung erhielt er dabei auch durch den sorgfältig vorbereiteten Chor des Hauses. Ebenso positiv ist die Ensembleleistung zu werten: Die Sänger am Nationaltheater klingen erstaunlich idiomatisch. Juhan Tralla verkörpert den titelgebenden Fürsten Myschkin, der Epileptiker ist und dessen „Idiotie“ im Verhalten eines weltfremden Sonderlings zu sehen ist, mit geschmeidig-ausdrucksstarkem Tenor. Ludmila Slepneva verleiht der zwischen zwei Männern stehenden Nastassja mit ihrem farbenreichen Sopran vielfältige Facetten. Als zwielichtiger Rogoschin begeistert Steven Scheschareg mit einer überragenden Leistung. Lars Moller kommt in Der Idiot eine dramaturgisch wichtige Rolle als der das tragische Geschehen lenkend-kommentierende Lebedjew zu, die er nachdrücklich gestaltet. Ansprechend wie der Rest des geforderten großen Ensembles der rund dreieinhalbstündigen Aufführung ist auch Anne-Theresa Møller als Aglaja.
Walter Schneckenburger