Der fliegende Holländer

Rubrik: Noten
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Man hat lange auf diesen Klavierauszug gewartet. Die Partitur erschien bereits 1983. Mehrere Anläufe der szenischen bzw. konzertanten Realisierung dieser Urfassung von Wagners Fliegendem Holländer gab es seither, auch als CD-Produktion. Nun ist endlich der Klavierauszug zur praktischen Nutzanwendung erschienen, zweisprachig (deutsch/englisch) mit auch französischem Vorwort, fadengeheftet und mit abwischbarem, aber leider nicht festem, strapazierfähigem Einband.
Die Entstehungs-, Umarbeitungs- und Editionsgeschichte dieser ursprünglich „romantischen Oper in einem Akt und drei Aufzügen“ ist eine lange Geschichte. Wagner ist der Welt nicht nur einen Tannhäuser in verbindlicher Fassung letzter Hand schuldig geblieben, wie er gegenüber Cosima Wagner einmal betonte, sondern auch einen Fliegenden Holländer. Immer wieder hat er, bei fast jeder Aufführung, die er leitete, Änderungen am Werk vorgenommen. Uraufgeführt wurde das Stück 1843 in Dresden in einer von der ursprünglichen stark abweichenden Fassung. 1841 schrieb der noch völlig unbekannte Provinzkapellmeister Richard Wagner in Paris Textbuch und Komposition der Oper, die er (vergeblich) in Paris uraufzuführen hoffte. Für die Gepflogenheiten der Pariser Oper sollte das Stück eine kürzere Oper sein, die sich mit einem anderen Werk kombinieren ließ. Deshalb die Einaktigkeit mit pausenlosem Ablauf der acht großen Musiknummern, ohne Unterbrechung zwischen den drei Aufzügen. Wagner hat das Werk (das natürlich ein abendfüllendes ist) nie in dieser Form aufgeführt. Er hat schon für die Dresdner Uraufführung den Schluss der Ouvertüre und den dritten Aufzug geändert. Aus einem Akt wurden drei Akte. Die Handlung wurde von Schottland nach Norwegen verlegt. Die Namen zweier Personen wurden verändert. Aus Donald wurde Daland und aus Georg wurde Erik. Sentas Ballade wurde vom ursprünglichen a-Moll nach g-Moll transponiert, auch die Instrumentation wurde verändert, bis hin zum Tristan- oder Erlösungsschluss für eine Pariser Aufführung im Jahr 1860 mit zwei Harfen.
Im Detail kann man diese Metamorphose des Fliegenden Holländers nachlesen im vorzüglichen Werkverzeichnis der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, an deren verdienstvoller Entstehung Egon Voss wesentlichen Anteil hat. Im Vorwort des nun erschienenen Klavierauszugs bringt er die wesentlichen Unterschiede und Besonderheiten der Fassungen von 1841 und 1843 auf den Punkt.
Was den Notentext selbst angeht, so darf er als das geglückte Beispiel einer sehr gut lesbaren, übersichtlichen und sorgfältigen Edition gelten, die den Bedürfnissen und Ansprüchen der Sänger wie Pianisten vollauf gerecht werden dürfte. Über die englische Übersetzung (deren Autor nicht genannt wird) des gesungenen Textes, die kursiv unter dem deutschen liegt, mag man freilich schmunzeln, die französische (deren es auch mehrere gibt, darunter immerhin eine von Charles Nuitter) wurde erst gar nicht abgedruckt, obgleich das Stück ursprünglich – mit Wagners ausdrücklichem Segen – in französischer Sprache das Licht der Welt erblicken sollte. Sei’s drum. Die Oper wird heute weltweit deutsch gegeben.
Dieter David Scholz