Der fliegende Holländer
Als Einstieg in Richard Wagners Opernschaffen gilt die Oper Der fliegende Holländer. Als einziges Frühwerk erklomm sie den Grünen Hügel der Bayreuther Festspiele. (Die Feen, Das Liebesverbot und Rienzi werden ja lediglich als Vorstufen zu Wagners Opernkunst gewertet). Auch auf kleineren Bühnen hat sich der Holländer bewährt und erfreut sich anhaltender Beliebtheit. Dabei fällt das Dilemma seiner Fassungen oft gar nicht auf. Was heute meist gespielt wird, selbst in Bayreuth, ist eine Zusammenstellung [
] von Fassungen der einzelnen Nummern und Teile der Oper aus unterschiedlichen Zeiten und Anlässen, die nie zum Abschluss kamen.
So erklärt der Wagner-Forscher Egon Voss im Vorwort der neuen Eulenburg-Studienpartitur, deren Notentext auf dem vierten Band (III-IV) der Wagner-Gesamtausgabe (2001) basiert. Der Komponist fasste die vielen Veränderungen allerdings nie als definitive Ausgabe letzter Hand
zusammen. Daher ist die einzige klar überlieferte Version die zu Lebzeiten unaufgeführte und auch heute selten gespielte Urfassung von 1841. Sie behandelt den Stoff in einer durchkomponierten Form mit drei ohne Pause aneinandergereihten Aufzügen. Sie ist nicht nur abweichend instrumentiert und enthält etliche Änderungen im Partiturbild, sondern verzichtet auch auf die seligen, Elsas Erlösungstod charakterisierenden Dur-Schlüsse in Ouvertüre und Finale. Erst seit 1983 liegt die Urversion innerhalb der Wagner-Gesamtausgabe vor. Egon Voss gibt ergänzend dazu eine bewusst heterogene Partitur heraus, in der alle späteren Änderungen enthalten sind.
Bereits bei der Uraufführung wurde die durchkomponierte Struktur der Urfassung aufgegeben und die zentrale Ballade der Senta für die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient von a-Moll nach g-Moll transponiert. 1846, 1852 und 1853 überarbeitete Wagner für Aufführungen in
Zürich und Weimar dann die Instrumentation. 1860 kamen während Konzerten in Paris jene auf die benachbarte Oper Tristan und Isolde weisenden Erlösungsschlüsse hinzu. 1864 wurde bei einer Münchner Neuproduktion die Windschleuder in die Partitur eingefügt. Noch 1880, wenige Jahre vor seinem Tod, nahm Wagner bei einer Münchner Aufführung Retuschen an der Partitur vor. Die von Voss im Vorwort erläuterte Metamorphose zeigt den Holländer als Work in progress und als Beweis für die Flexibilität des Theatermanns Wagner.
Diese Studienausgabe ersetzt die ältere, seit 1897 vielfach nachgedruckte, aber fehlerhafte Ausgabe des Dirigenten Felix Weingartner. Voss: Damit kann die neue Partitur für sich in Anspruch nehmen, dem Original näher zu sein. Das Original meint in diesem Fall Wagners Ideenvielfalt, mit der er die Urfassung stufenweise veränderte und seiner gewandelten Ästhetik anpasste. Da er bei Aufführungen stets auf seine Überarbeitungen zurückgriff, erstellte Voss unter dem Titelzusatz Fassung 1842-1880 nun posthum eine definitive, kritisch revidierte Schlussversion des Holländers pünktlich zum 200. Geburtstag.
Matthias Corvin