Der fliegende Holländer

Rubrik: Noten
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Es ist eigentlich eine etwas absurde Situation: Die einzige Fassung von Richard Wagners romantischer Oper Der fliegende Holländer, die in einer definitiven Form existiert, ist die – noch einaktige – Urfassung des Werks aus dem Jahr 1841.
Die freilich zu Wagners Lebzeiten nie auf die Bühne kam. Denn schon vor der Uraufführung (1843 in Dresden) teilte der Komponist das Stück in drei Akte auf – was natürlich auch wesentliche musikalische Änderungen mit sich brachte –, verlegte die Handlung von Schottland nach Norwegen und nahm weitere musikalische Korrekturen vor. Bis 1880, als er sich das Werk zum letzten Mal vorknöpfte, gab es dann – meist anlässlich von neuerlichen Aufführungen – noch zahlreiche weitere und oft auch massive Umarbeitungen, wie etwa den 1860 eingefügten, so genannten Erlösungsschluss der Ouvertüre, die nun mit zarten Harfenklängen statt den vorigen furiosen Akkorden zu Ende ging. Eine eigentliche Endfassung aber, in der alle Änderungen vereint und vom Meister persönlich abgesegnet worden wären, existiert von dieser Oper nicht.
So besteht die Alternative zur Urfassung für Interpreten und Hörer also nicht einfach in einer Fassung letzter Hand, sondern in sehr vielen Versionen mehr oder weniger letzter Hand. Oft sind die Unterschiede zwischen ihnen allerdings so gering, dass es sich kaum lohnen würde, einen eigenen Klavierauszug dafür herzustellen. Deshalb entschied man sich beim Verlag Schott, der bereits 2005 einen Klavierauszug der Urfassung herausgegeben hatte, in diesem vorliegenden Band auf den Partitur-Erstdruck von 1845 zurückzugreifen, jedoch alle später vorgenommenen Änderungen nach den jeweiligen Quellen einzubeziehen. Der Notentext folgt dabei der Richard-Wagner-Gesamtausgabe – die Wagners Intentionen wesentlich näher sein dürfte als die bisher gebräuchliche Partitur von Felix Weingartner aus dem Jahr 1897, da seither zahlreiche Quellen wieder aufgetaucht sind, die Weingartner nicht zur Verfügung standen.
Auch rein optisch ist dieser Klavierauszug ein echter Gewinn – lag doch den meisten bisherigen Editionen noch das manches Mal etwas überladene Design aus dem 19. Jahrhundert zugrunde. Bei Schott kann man sich über Klarheit und Überblick freuen; um den Preis freilich, dass (vermutlich Computerprogramm-bedingt) auf mancher Seite nur zwei Systeme Platz finden und der verzweifelte Korrepetitor also ständig blättern muss. Dezent angebrachte, aber immer noch gut lesbare Instrumentationsangaben sind immer dort – und nur dort – platziert, wo sich dahingehend etwas ändert, also in rechtem Maße verteilt.
Der Hochglanzeinband ist höchst romantisch-seestürmisch gestaltet und entspricht dem Sujet des Inhalts damit aufs Trefflichste, und schließlich ist auch die Fadenbindung des Bandes zu loben, die es einem Pianisten zwar ermöglicht, ihn notenständertauglich zu knicken, damit die Seiten nicht von selbst zufallen, aber dennoch eine Lebenserwartung erhoffen lässt, welche die Dauer einer Produktion an einem Opernhaus deutlich überschreiten sollte.
Andrea Braun