Franz Schreker

Der ferne Klang

Jennifer Holloway, Ian Koziara, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Ltg. Sebastian Weigle

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 77

Auf CD sind Franz Schrekers freitonale Orchester-Sturzfälle und ihre Reflexzonen aus erhitzter Sinnlichkeit und kunstvoller Auszehrung kontraststärker als in der Premiere 2019. Die Oper Frankfurt hatte diese Produktion dem 2019 verstorbenen Michael Gielen, ihrem Generalmusikdirektor von 1977 bis 1987, gewidmet. Gielen hatte 1979 Die Gezeichneten am Beginn der Renaissance des damals fast vergessenen Franz Schreker dirigiert.
Die Uraufführungen von Schrekers Der ferne Klang (1912), Das Spielwerk und die Prinzessin (1913), Die Gezeichneten (1918) und Der Schatzgräber (1920) in Frankfurt waren durch erotisch aufgeladene Sujets und deren musikalisch deutliche Ausgestaltung seinerzeit atemberaubend. Für Lesarten vom Fernen Klang lässt sich allerdings kaum ein größerer Kontrast denken als Sebastian Weigles in wohligen Tonfluten badender Ansatz und jener von Michael Gielen, der an der Lindenoper die Konstruktion von Schrekers komponierten Architekturen deutlich gezeichnet hatte. Gielen ging es um Schrekers Dynamit, Weigle und mit ihm der italienische Regisseur Damiano Michieletto brachten dagegen die Zeit durch Wohlklang zum Stillstand. Dieser Eindruck bestätigt sich in der CD-Veröffentlichung aus der lautstark umjubelten Premierenserie.
Offenbar ließ Weigle sich von der farbprächtigen und dabei fein gedachten Regie inspirieren. Das als Edelkurtisane erfolgreiche Kleinbürgermädchen Grete Graumann und der ausgebuhte Komponist Fritz bekamen auf der Bühne ein altes Paar als Spiegelfiguren zur Seite gestellt. Über dem dramatischen Geschehen schwebten Orchesterinstrumente. Der ferne Klang erhielt mindestens dreifache Bedeutung – als physische Tonproduktion, als kreative Vision des Komponisten Fritz und als psychisch-emotionaler Widerhall in den Figuren.
Auch in der eindrucksvoll angewachsenen Reihe mit Liveaufnahmen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters erweist sich Schrekers Oper als ungemein stark, kurzweilig und faszinierend. Weigle rundet die üppigen Klangabenteuer in einen dramatischen Kontext, ohne das Fluidum der Instrumentation mit ihren intimen, luziden und brachial-glanzvollen Überraschungen zu mäßigen. Das Orchester genehmigt sich in der Toncollage der Bordellszene einen musikdramatischen Vollrausch und betört an vielen Stellen mit seiner Fähigkeit, Stimmen intensiv zu umhüllen und doch nicht zu verschlingen.
Jennifer Holloway gibt als Grete eine starke Frau, der man Verletzungen nicht anhört. Sie ist mit den ersten Tönen bereits die Stärkere in der scheiternden Beziehung. Als Fritz modelliert Ian Koziara mit sprödem Tenor den Konflikt zwischen Spießigkeit und künstleri-scher Gutsherrenattitüde. In den vielen wirkungsvollen Nebenrollen bereitete sich das tolle Frankfurter Opernensemble ein Fest. Es ist also nur zu gut verständlich, dass sich Sebastian Weigle das Hybriddrama aus Problemstück, Kurtisanenspektakel und Nicht-Erlösungsmysterium unter den Nagel riss.