Hans-Jürgen Otte / Cornelie Sonntag-Wolgast / Christian Prüßner

Der Duft der Geige / Zweite Geige, erstes Pult / Meine Stimme, mein Glück

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Hans-Jürgen Otte, Hamburg 2021/22
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 62

Was bedeutet das Musizieren einem Hobby-Geiger? Was ist das Besondere am Klang der Geige? Und was kann es auslösen, mit anderen gemeinsam zu singen? Fragen, auf die drei schmale Bändchen Antwort geben, drei Büchlein, in denen ein pensionierter Redakteur, eine ehemalige Politikerin und ein Sprecherzieher über die Rolle der Musik in ihrem Leben nachdenken. Hans-Jürgen Otte, lange Jahre Redakteur beim NDR, erinnert sich, wie er mit neun Jahren seine erste Geige bekam – und mit ihr haderte. Dem Jugendlichen erschien sie als bloße „Angeberei des Bildungsbürgertums“, für Rockmusik ungeeignet, und so war er ein unwilliger Schüler, der erst nach und nach den Zauber klassischer Musik ­entdeckte.
Ganz anders die ehemalige Bundestagsabgeordnete Cornelie Sontag-Wolgast: Für sie war die Geige ein Herzenswunsch, da sie „besonders in den höheren Lagen einen Schmelz und Glanz entfaltet, den kaum ein anderes Instrument erreicht“. So erlernte sie das Spielen mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, kompensierte mangelndes Talent mit Ausdauer – und auch wenn die Violine im Berufsalltag mitunter ins Hintertreffen geriet, so zog sie sie doch immer wieder hervor, um sich zu erden.
Für den Pädagogen und Sprecherzieher Christian Prüßner wurde der Satz „Du hast aber eine schöne Stimme“, den er als Kind immer wieder hörte, so etwas wie ein Lebensmotto. Zwar wurde er im Kinderchor zu seiner Überraschung nicht aufgenommen, aber in der Familie sang man mit großer Begeisterung, später fühlte er sich in einem Pop- und Schlagerchor daheim. Er rief in einer kirchlichen Sozialeinrichtung einen Chor ins Leben und sang jahrelang in einer originellen Band, die sich mit „Blechgebläse, A-cappella-Gesang und Blödsinn“ hervortat.
Drei Menschen, für die Musik zwar nicht der alleinige Lebens­inhalt, aber doch eine unverzicht­bare Begleiterin ist: Alle drei sind keine musikalischen Genies und wissen um ihre Beschränkungen. Hans-Jürgen Otte bescheinigte eine Geigenlehrerin ein „durchschnittliches Talent“, Cornelie Sontag-Wolgast kennt ihre Unzulänglichkeiten, wenn sie etwa beim Vibrato die Finger nicht vorschriftsmäßig bewegt, und Christian Prüßner strebte nie eine Karriere als Sänger an. Aber die Musik ist für sie alle ein wichtiger Teil ihres Daseins, und das schimmert in ihren Texten durch. Es sind feine, kleine Texte, die daran erinnern, was Musik für jeden von uns bedeuten kann, wie wichtig sie ist, um einen Ausgleich zu finden, um in schwierigen Zeiten das Positive im Leben nicht zu vergessen – und gelegentlich auch, um der Welt für gewisse Zeit zu entfliehen. In ihrer Gesamtheit ergeben die drei Bändchen ein Plädoyer für die Musik und das Musizieren, dafür, ein Instrument zu erlernen oder die eigene Stimme zu schulen, um das zu erleben, was etwa Christian Prüßner beschreibt: „Wenn ich mit anderen singe, fühle ich mich geborgen, beschützt und oftmals glücklich.“
Irene Binal